Hertha tritt heute als aktueller Tabellendritter beim Rekordmeister Bayern München an. Die Fans der Berliner beschäftigen sich aber lieber mit der aktuellen Marketing-Kampagne. Irgendwas ist ja immer.
Text: Björn Leffler
Bilder: Hertha BSC
Hertha BSC reist heute zum Spitzenspiel der Bundesliga nach München, um dort zum wiederholten Male dem FC Bayern die Stirn bieten zu wollen. Ohne jetzt genau in die Statistiken einsteigen zu wollen, kann man ohne viel Wagemut behaupten, dass Herthas letzter Sieg beim FC Bayern mehrere Jahrzehnte zurück liegt. Mir dünkt, es waren die 70er Jahre.
In Berlin ist von Fans und Medien der starke Auftakt in die Saison mit drei Siegen aus drei Spielen natürlich wohlwollend und zum Teil sogar mit Begeisterung zur Kenntnis genommen worden. Allerdings äußert sich dies auf höchst unterschiedliche Art und Weise. Während vor allem die hartgesottenen und alteingesessenen Fans des Vereins mit vorsichtigem Optimismus in die nächsten Wochen schauen, drehen die (Boulevard-) Medien am vierten Spieltag schon wieder das ganz große Rad und sprechen, ohne in irgend einer Form Sarkasmus oder Irnoie erkennen zu lassen, vom „Spitzenspiel“ in München.
Ein Spitzenspiel am vierten Spieltag, natürlich. Wo nur jeder einigermaßen intelligente Mensch, vor allem wenn er Anhänger von Hertha BSC ist, müde abwinken sollte, wird in den Boulevardblättern der Hauptstadt der kommende Gegner Bayern München intensiv auseinandergenommen, analysiert und eindringlich vor den Gefahren der brandgefährlichen Offensive gewarnt.
Die Hertha-Fans, vor allem jene in der Ostkurve, umtreibt aktuell allerdings keineswegs die Angst vor dem kommenden Gegner, sondern der Ärger über die neue Marketing-Strategie von Hertha BSC. Gemeinsam mit der Werbeagentur Jung von Matt haben die Verantwortlichen das Saisonmotto „We try. We fail. We win.“ entwickelt, welches aufgrund seiner anglizistischen Ausrichtung von vielen Fans stark kritisiert wurde, ebenso wie das magentafarbene Auswärtstrikot.
Hertha BSC versucht in diesem Sommer neue Wege in Sachen Kommunikation zu gehen, was beim harten Kern der Anhänger – natürlich – bitter aufstößt. Da werden fein gereimte Spruchbänder in die Höhe gehalten, die mal wieder alles verteufeln, was sich die Herren in der Chefetage um Michael Preetz da ersponnen haben. „Hertha, lass das Hipstern sein“ ist der Slogan, unter dem sich der Kern der Kritik zusammenfassen lässt.
Dabei wird offenbar völlig außen vor gelassen, dass die mitunter äußerst humorigen Spieltagsmottos, die da von Hertha BSC und Jung von Matt entwickelt werden, keineswegs weltfremd oder gezwungen hipsternd daherkommen, sondern genau jene Absurditäten des Geschäfts auf den Punkt bringen, die viele Fans so ablehnen. Wie beispielsweise etwa die völlig überzogene Berichterstattung über ein „Spitzenspiel“ beim FC Bayern, weil Hertha es erstmals seit Bundesliga-Gründung gelungen ist, die ersten drei Spiele zu gewinnen (der Rekord wurde ja sogar ausgebaut, schon der Gewinn des zweiten Spiels stellte einen Vereinsrekord dar).
Mit einem gesunden Schuss Selbstironie – und eben jene überzogene, mediale Berichterstattung karrikierend – bewirbt der Verein sein heutiges Gastspiel bei den Münchner Bayern: „Heute 20 Uhr: Die Vorentscheidung im Titelrennen“
Und was ist eigentlich so schlimm daran, die eigene, durchaus spannende aber selten von großen Triumphen gekrönte Vereinshistorie augenzwinkernd zu verwenden, um darauf aufmerksam zu machen, dass es in Berlin einen Verein gibt, der sich trotz aller Widrigkeiten und Rückschläge nicht davon abbringen lässt, einfach weiter im erbarmungslosen Haifischbecken Bundesliga mitzuschwimmen?
Und was ist darüber hinaus so skandalös daran, neue Fans für den Verein gewinnen zu wollen, in einer Stadt, in der täglich über vier Millionen Menschen unterwegs sind? Es ist den Traditionalisten in der Ostkurve vielleicht zuwider, aber es gibt sie wohl, die Menschen die man mit dieser Kampagne erreichen und für Hertha BSC begeistern kann. Aber auch das ist den Fans in der Ostkurve vielleicht gar nicht so recht: neue Fans für Hertha BSC. Das können ja nur oberflächliche Schnösel sein, Erfolgsfans quasi. Wer sich von so einer Kampagne anziehen lässt, kann es ja gar nicht ernst mit der Hertha meinen.
Stimmt schon, es ist nicht jeder gleich auf Anhieb ein Ultra. Aber warum sollt er das auch sein? Aber eine höhere Auslastung des Stadions als Ziel für die kommenden Jahre auszugeben, ist aus meiner Sicht kein Verbrechen, sondern längst überfällig. Und auf dem Weg zur mittel- und langfristigen Neugewinnung von Fans kann eine Neuausrichtung der Kommunikation durchaus hilfreich sein. Da lohnt ein Blick auf die „Echte Liebe„-Kampagne des BVB (welche natürlich einhergehend mit dem sportlichen Erfolg des Vereins großen Zulauf gebracht hat).
Diese Neuausrichtung nicht zu versuchen und dem Verein den so bitter benötigten Schub nicht geben zu wollen, wäre sehr viel fragwürdiger als der aktuelle innovative Ansatz. Der kann mal übers Ziel hinaus schießen, aber trifft doch häufig den Nerv. Wie etwa die herrlich übertriebene Aufschrift auf dem Mannschaftsbus: „Wir wollten eigentlich mit dem Flieger kommen.“
Bei den so treuen Fans in der Ostkurve – seien sie nun den Ultra-Gruppierungen zugehörig oder nicht – lösen solche aus ihrer Sicht unnötigen Veränderungen sofort den Reflex der Ablehnung aus. Man fragt sich nur, warum eigentlich? So war das Marketing des Vereins in den vergangenen Jahren das reinste Desaster, und die so viel beschworene Tradition oder blauweiß gestreifte Trikots haben auch nicht dazu geführt, dass die Fans Hertha BSC in Scharen die Bude eingerannt sind.
Michael Preetz und der Verein Hertha BSC beweisen mit dieser Kampagne, dass sie Mut haben. Und dass sie anerkennen, in der Vergangenheit auch Fehler gemacht zu haben, was die Selbstdarstellung des Vereins angeht. In den Fankurven wird aber natürlich traditionell gern kritisiert. Ob das Dieter Hoeneß, Michael Preetz oder ein pinkes Trikot sind: irgendein Feindbild braucht es schließlich immer.
Ein Transparent mit der Aufschrift „Vladimir Darida – Danke, Micha, geiler Transfer!“ oder „Brooks gehalten, unser Dank ans Management!“ wäre durchaus auch mal angebracht gewesen.
Aber ein Feindbild braucht es offenbar. Auch nach drei Siegen aus drei Spielen. Auf zum Spitzenspiel also, wer weiß was die Saison noch so zu bieten hat. Und da passt ein anderer, ebenfalls sehr gelungener Spruch der aktuellen Kampagne wie die Faust aufs Auge: „Eine Saison wie das Berliner Nachtleben – Man weiß nie, wo man endet!“
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