Wenn Union gegen Pauli spielt, kann man davon ausgehen, dass man heiser das Stadion verlässt. Selbst neutrale Besucher müssen um einiges ihre Stimme erheben, um mit dem Stehplatznachbarn das taktische Geplänkel zu analysieren. Es ist laut und emotional. Dabei stellt es ein ungewöhnliches Derby da, welches auf verschiedenen Ebene seine Wirkung entfacht.
Zum einen wäre da die Stadtkonkurrenz zwischen Berlin und Hamburg. Die beiden größten Städte Deutschlands, deren Stadtkultur metropolitane Züge bei gleichzeitiger sozialer Differenzierung aufweist. Berlin und Hamburg sind die Stätten der urbanen Kreativgesellschaft, der kulturellen Innovation und der diversifizierten Identitätsmuster. Man sagt den Berlinern nicht umsonst nach, dass sie den Rest Deutschlands als provinziell empfinden – Hamburg stellt dabei nur die Ausnahme von der Regel dar. Zuletzt konnte Hamburg sich gegen Berlin hinsichtlich der Kandidatur als Stätte der olympischen Spiele durchsetzen, wobei hier schon fast eher von einem Wettbewerb der Ablehnung gesprochen werden konnte, in dem es darum ging, welche Stadtgesellschaft nun weniger aufnahmebereit für die Kopplung der Stadtpolitik mit den Belangen des IOC ist. So gesehen setzten sich die Berliner durch. Konfus…
Beim Spiel von Union gegen Pauli treffen die Unangepassten des deutschen Fußballs aufeinander. Beide Vereine eint der Zwist mit dem Regelungswahn der DFL sowie die Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs und der Kriminalisierung von Teilen der Anhängerschaft. Beide Vereine kämpfen gegen die Entmündigung der Fankulturen, deren gesellschaftliche Integrationskraft über das Stadion hinausreicht. Von einer akzentuierten Freundschaft zwischen den Fangruppen kann zwar nicht gesprochen werden, aber der Hauch der Sympathie ist trotz der bestehenden Ressentiments der Unioner Ultras in der Alten Försterei und im Stadtraum zu spüren.
Lokal gesehen stellen beide Vereine den Konterpart zum großen innerstädtischen Rivalen dar. Der FC St. Pauli definiert sich als kultureller Gegenentwurf zum Hamburger SV und repräsentiert dabei auch die Differenzen in Struktur und Kultur des Stadtteils im Vergleich zur Gesamtstadt. Der 1. FC Union Berlin, ehemaliger Hort der fußballaffinen DDR-Oppositionellen im Berliner Südosten, konkurriert – wohlgemerkt wie der FC St. Pauli im Vergleich zum HSV ebenso noch nicht auf Augenhöhe – mit Hertha BSC. Beide umweht dabei der süßlich-aufdringliche Duft des Kults zwischen Identitätskonstruktion und Marketing-Instrument.
Beide Fangruppierungen nehmen für sich in Anspruch, bedingungslos hinter dem Verein und seiner Mannschaft zu stehen und auch bei Gastspielen jeweilig den emotionaleren und lauteren Block zu stellen. Von der kompletten Ausnutzung des Kartenkontigents ganz zu schweigen. Die Schlachtgesänge sind geprägt von unkonventioneller Kreativität. Da singen auf der einen Seite „die Kranken“, die alle Schranken durchbrechen und auf der anderen Seite die „asozialen Zecken“, die unter Brücken oder in der Bahnhofsmission nächtigen. Wohlgemerkt jeweilig selbstgezeichnete Zuschreibungen. Die Provokation schwingt stets mit.
Hinzu kommt eine sportliche Rivalität von zwei Vereinen, deren Potential aufgrund der ähnlichen Ausgangsbedingungen gleich ist. Beide streben mittel- und langfristig den Aufstieg in die Bundesliga an und müssen sich gleichsam den aufstrebenden Retorten-Clubs erwehren.
Am 11. Spieltag dieser Saison kam es am letzten Samstag also zum Aufeinandertreffen der beiden medial dankbar angenommen und repräsentierten „Kult-Clubs“. Ein in der ersten Halbzeit anschauliches Spiel wurde in der zweiten Halbzeit zu einem intensiven sportlichen Wettkampf. St. Pauli reagierte taktisch geschickt auf den unverhofften Doppelschlag der Berliner kurz vor der Halbzeit und spielte in den zwanzig Minuten nach der Pause groß auf. Union blieb nichtsdestotrotz gefährlich, auch wenn der zwingende Zug zum Tor zunächst ausblieb. Doch Union erhielt die Chance die Spieldominanz zu erlangen, da sich St. Pauli mit der eigenen zunehmend entfachten Verschleppungstaktik mental aus dem Spiel nahm. Auf die ablaufende Zeit vertrauend, konnten sie nur noch teilweise Nadelstiche setzen, die aber entsprechend nicht konsequent zu Ende gespielt wurden. Mit fortwährender Dauer konnten sich die Hamburger bei ihrem Torhüter bedanken, der angestachelt durch seinen Fehler in der ersten Halbzeit, seinen Kasten mit Haut und Haar verteidigte. Letztendlich gelang es Union dennoch den Ball über die Linie zu drücken und den Ausgleich zu erzielen – den leidenschaftlichen neunzig Minuten entsprechend mit der letzten Aktion des Spiels, die die Alte Försterei in einen Jubelrausch versetzte. 3:3 endete ein Spiel, welches zwei Sieger verdient gehabt hätte.
Während des Spiels rivalisierend, verließen nach dem Spiel die Fans beider Lager zufrieden das Stadion und trafen in den Kneipen des Berliner Zentrums wieder aufeinander – in stiller Sympathie und vereint im Kampf gegen die Konvention…
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