Oh ja, der Deutsche jammert gern! Das Wetter ist mies, der Job sowieso, der Staat trachtet nur nach unserem Geld, und überhaupt nervt es so extrem, dass der Deutsche grundsätzlich alles immer so negativ sieht. Man nervt sich also quasi selbst. Das ist auch beim Fußball so – aber eigentlich völlig unangebracht.
von Björn Leffler
Es ist nur wenige Wochen her, da ließ ich mich eines Samstagsmittags nieder und schaltete den Fernseher an. Da lief die Konferenz der Bundesliga. Ich sah die Ansetzung und dachte „Geil!“: Stuttgart gegen Dynamo Dresden. Das Stadion in Stuttgart war mit 58.000 Zushauern ausverkauft, und beide Mannschaften ließen es krachen und trennten sich 3:3, Dramatik von der ersten bis zur letzten Minute.
Überhaupt, was für geile Teams spielen in der Bundesliga: Hannover 96, Union Berlin, der FC St. Pauli oder Eintracht Braunschweig – allesamt mit einem Zuschauerschnitt von (zum Teil deutlich) über 20.000. Der Zuschauerschnitt der Liga liegt bei über 21.000 zieht damit mehr Fans an als die italienische Serie A.
Ach ja, ich vergaß natürlich zu erwähnen – ich rede hier von der zweiten Bundesliga! Die ist nämlich so enorm attraktiv, dass man am Wochenende sehr gern mal die Sky-Konferenz laufen lässt, bevor es im Oberhaus erst so richtig los geht. Aber aber, in Liga 2 hört der heiße Scheiß ja nicht auf! In Liga 3 tummeln sich nahmhafte und spannende Vereine wie der 1. FC Magedburg (der aktuell gerade auf dem Weg zum Aufstieg in die 2. Liga ist), der MSV Duisburg, Hansa Rostock oder Preußen Münster – bis auf die letztgenannten allesamt mit einem durchschnittlichen Zuschaueraufkommen im deutlich fünfstelligen Bereich und hochmodernen Stadien ausgestattet. Und das in der dritten Liga!
Den Deutschen wurde ja lange Zeit nachgesagt, nicht sonderlich begeisterungsfähig zu sein, was insbesondere für das Sportpublikum galt. Im Vergleich mit anderen großen Fußball-Ligen in Europa stellt sich die Situation heute allerdings ganz anders dar. Obwohl die 1. Bundesliga seit Jahren eine reichlich spannungsfreie Angelegenheit ist, lässt sich der deutsche Fußball-Fan den Spaß an seiner geliebten Liga und seinem Herzensverein nicht verderben. Die Bayern können ruhig Meister werden, die Liga bebt außerhalb Münchens auf einem enorm hohen Niveau.
Die deutsche Bundesliga ist (und bleibt es vorerst auch) die zuschauerreichste Fußball-Liga der Welt. Arenen wie das Dortmunder Westfalenstadion, die Münchner Allianz Arena und die Arena AufSchalke beeindrucken das internationale Europapokal-Publikum seit Jahren, insbesondere die „gelbe Wand“ der Dortmunder Borussia: eine unfassbare Mauer aus 25.000 infernalischen Ohne-Wenn-und-Aber-Schlachtenbummlern, die schon Real Madrid, Benfica Lissabon oder Arsenal London das Fürchten lehrten. Hinzu kommt eine Spielstätte von Weltrang, die – aktuell jedenfalls noch – sehr viel berühmter ist, als der Verein, der in ihr spielt: das Berliner Olympiastadion. Darüber hinaus verfügen Städte wie Köln, Frankfurt, Hamburg oder Bremen über großartige und indivuelle Spielstätten, ausgestattet mit einer Vielzahl von Stehplätzen, was auf der Insel seit Jahren neidisch beobachtet wird. 17 der 18 Stadien der 1. Liga sind enge, reine Fußballstadien.
Die Arenen sind voll, die Spiele spannend, die Ergebnisse immer wieder spektakulär. Hinter Bayern und Dortmund gibt es in jedem Jahr wechselnde Kandidaten für die Champions- und Europa-League-Plätze, der Abstiegskampf mutiert in jedem Jahr zum monatelangen Medien- und Zuschauerspektakel, und die Derbys der Liga gehören zu den heißblütigsten Duellen des Kontinents. Die Tickets sind noch immer bezahlbar, aber dennoch gehören deutsche Teams zumindest zur Spitze des europäischen Vereinsfußballs – wenn es auch zu einem europäischen Titel aufgrund der spanischen Überdominanz nur sehr selten reicht. Aber das ist tatsächlich Jammern auf hohem Niveau.
Wie überhaupt auf hohem Niveau gequengelt und geningelt wird. Bei Hertha BSC ist man nicht zufrieden, dass man mit einem Zuschauerschnitt von rund 50.000 nur zu den Top 20 Zuschauermagneten Europas gehört (Platz 17, vor Atlético Madrid und Paris St. Germain). Neun der beliebtesten 20 Vereine Europas spielen in der Bundesliga. Das reicht aber noch nicht. RB Leipzig diskutierte lange über einen Stadion-Neubau, begnügt sich nun aber mit einem Ausbau der bestehenden Arena auf 58.000 Plätze. Der 1. FC Köln hingegen favorisiert einen Auszug aus seiner aktuellen Spielstätte, weil ihm die aktuelle Kapazität (50.000 Plätze) nicht mehr ausreicht. Eintracht Frankfurt, der Hamburger SV, Borussia Dortmund und Bayern München haben in den vergangenen Jahren immer mehr Stehplätze im Stadioninneren geschaffen, um irgendwie noch mehr Zuschauer und zudem eine bessere Atmosphäre in ihre großartig ausgelasteten Heimstätten zu bekommen. Die Stadion-Auslastung der Liga liegt im Schnitt bei über 90%.
Mensch, na wir haben Probleme! Aber wenn man dann meint, in Deutschland gebe es nur Fußball, kann man sich mal einen Besuch bei den Berliner Eisbären oder den Kölner Haien (Eishockey), dem THW Kiel oder den Berliner Füchsen (Handball), oder ALBA Berlin respektive dem FC Bayern München (Basketball) gönnen. Jedes Sport-Event, was in Deutschland seit der Fußball-WM ausgetragen wurde, war eine absolute Erfolgs-Story, von der Leichtathletik-WM in Berlin 2009 über die Handball- oder Eishockey-WM – die Spiele waren allesamt gut besucht und die ausrichtenden Weltverbände hochbegeistert – vor allem weil auch jene Partien stark besucht waren, in denen nicht das deutsche Team auftetreten ist. Sogar die 2011 in Deutschland ausgetragene Fußball-WM der Damen – eröffnet im Berliner Olympiastadion vor 75.000 Zuschauern – fand vor fast ausnahmslos vollen Rängen statt und stellte einen neuen Zuschauerrekord auf. Es ist wohl einfach so: der Deutsche ist offenbar sehr sportbegeistert, und das auch noch in den unterschiedlichsten Ausprägungen.
Hinzu kommt, dass es in Deutschland fast selbstverständlich ist, dass der Großteil der Fangruppen gemeinsam zum Stadion anreist, im Umfeld einer jeden Arena ein umfangreiches und regional gefärbtes kulinarisches Angebot feilgeboten wird (womit nicht das leider verstandardisierte Catering innerhalb der Stadien gemeint ist) und die Eintrittskarten normalerweise auch als Fahrtkarten für den öffentlichen Nahverker gelten. Fast jeder Verein verfügt über eine oder mehrere starke Ultra-Gruppierungen und kaum ein Fußball-Wochenende vergeht ohne ein brisantes Derby, eine atemberaubend schöne Choreo und ein Spiel, was für mindestens fünf Tage den Blätterwald der Medien bedient. Von Langeweile eigentlich gar keine Spur.
Es gehört aber dennoch zur Grund-DNA des Deutschen, die Dinge und sich selbst über alle Maßen kritisch zu betrachten. Und es gibt eine fast alles beherrschende Angst vor der eigenen Courage. Anstatt sich mit seinen großartigen Sportstädten (und -stätten) für Olympische Winter- oder Sommerspiele zu bewerben, wird hierzulande lieber der Kopf darüber geschüttelt, wie schwer sich Nationen wie Brasilien oder Griechenland mit der Ausrichtung solcher Großereignisse tun.
Hätte es eine Volksabstimmung über eine mögliche Austragung der Fußball-WM 2006 gegeben, wäre es wohl nie zu diesem Turnier gekommen, da sich die Fraktion der „Baut doch lieber Kitas und Schulen“-Vertreter mit großer Wahrscheinlichkeit durchgesetzt hätte. Heute aber spricht man in fast allen geselschaftlichen Kreisen noch immer mit feuchten Augen vom „Sommermärchen“, dieser begeisternden Fußball-WM 2006, die das Bild, das die Welt von der Bundesrepublik Deutschland gehabt hat, bis heute nachhaltig verändert und vor allem der Hauptstadt Berlin einen enormen Tourismus-Boom beschert hat.
Aber, warum auch immer, man zaudert eben gern, anstatt sich dieses einmal zu vergegenwärtigen. Scheiße, es macht einfach Spaß, in diesem Land Fußball (oder einfach Sport!) zu schauen, zu leben und zu lieben – und das allerbeste: wir können uns das jede Woche im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ansehen! Auch so eine Sache, die bei englischen, spanischen oder italienischen Fans für fassungslose Minen sorgt.
Nur wir Deutschen nehmen das irgendwie ziemlich gleichgültig hin, anstatt uns mehr dafür einzusetzen, dass das auch so bleibt, denn selbstverständlich ist das nicht. Man möchte die Pläne der Zukunft, die in den Chefetagen der DFL sicher schon schlummern, gar nicht kennen. Heute aber, heute lässt sich – bis auf wenige Ausnahmen, die es immer gibt – unumwunden sagen: Fußball in Deutschland – scheiße, ist das geil!
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