Ein freizügiges Essay darüber, wie schnell eine Motivationsrede in der Fußball-Kabine nach hinten losgehen kann…
von Björn Leffler
Vierzehnjährig und pickelig saß ich inmitten meiner Mannschaftskollegen der zweiten C-Jugend des VfB Hermsdorf in unserer engen Kabine und ließ den Kopf hängen. Der Schweißt tropfte mir noch von der tief gerunzelten Stirn auf meine verdreckten Fußballschuhe, während wir schweigend darüber nachdachten, wie wir von unserem Gegner MSV Normannia gleich im ersten Spiel der Saison so derartig auseinander genommen werden konnten.
Gleich das erste Heimspiel hatten wir sang- und klanglos mit 0:6 abgegeben, dabei hatten wir doch ein neues Trainer- und Betreuerteam und – zumindest dachten wir das bis dahin – ein recht talentiertes Team beieinander. Langsam begannen wir also, unsere verschwitzten, pubertierenden Körper zu entkleiden und – ohne den Umweg über die Dusche, wir waren eben vierzehn – unsere Alltagskleidung wieder anzuziehen.
Dies geschah selbstverständlich in der betretenen Stille, die eben in so einer Kabine vorherrscht, wenn man soeben brutal vorgeführt und gedemütigt wurde. Mitten in die Stille hinein platzte unser neuer Trainer, der direkt nach dem Spiel wutenbrannt unter die Dusche gerauscht war. Er trat aus der kleinen, engen Dusche heraus und stand vor uns, so wie Gott ihn – vor langer Zeit – geschaffen hatte.
Augenblicklich stoppten wir unsere schüchternen Aktivitäten und starrten ihn, der splitterfasernackt, das Handtuch in der linken Hand haltend, vor uns stand, schweigend an. Alles, was er trug, war seine gold umrandete Brille. Alle anderen Facetten seines massigen, 50-jährigen, nur von einem buschigen Oberlippenbart bedeckten Körper präsentierte er uns bereitwillig. Immerhin waren wir hier in einer Fußballkabine, und das war für viele Trainer und Spieler der intimste Ort, den sie sich überhaupt vorstellen konnten.
Für uns Vierzehnjährige stellte sich das allerdings etwas anders dar, waren wir doch in den Wirren dieser vermaledeiten, scheußlichen Pubertät gefangen. Und nun noch dieser unappetitliche Anblick! Dennoch wagte es niemand, ihn zu bitten, sich doch bitte sein Handtuch um die Hüfte zu binden. Anstatt dessen verharrten wir, erstarrt zu Salzsäulen, und warteten auf das, was nun irgendwann bitte endlich kommen möge. Seine großen Augen musterten uns aber seelenruhig. Dann, ganz bedächtig, sprach er endlich: „Das war die letzte Niederlage der Saison, Freunde! Das eine sage ich Euch!“ Er flüsterte es fast, vor Zorn innerlich brodelnd.
Wir sahen uns verwirrt an. Was meinte er nur damit? „Ab jetzt werden wir jedes Spiel gewinnen. Jedes Spiel der Saison! Jedes!“ Wir blickten weiterhin fragend. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Einigen misslang das allerdings.
!Aber das schaffen wir nur,“ fuhr er fort, „wenn alle mitziehen. Wenn wirklich alle an einem Strang ziehen!“ (Dass er nun auch noch unbedingt von einem Strang sprechen muss, dachte ich nur…) „Und wenn einer nicht mitzieht, dann bekommt er es mit mir zu tun, das kann ich schonmal versprechen!“
Noch immer sagten wir nichts. Noch immer stand er nackt vor uns, nachdem er uns was auch immer angedroht hatte. Danach verschwand er wieder in der Kabine und ließ uns – und im Übrigen auch seine Co-Trainer und Betreuer – recht ratlos zurück.
Wir verloren die nächsten sieben Spiele am Stück. Danach ging es sehr schnell. Beim Training nach der achten Niederlage aus acht Spielen stand plötzlich unser Co-Trainer auf dem Platz und leitete das Training. Und das tat er dann auch bis zum Ende dieser Saison (die wir, nebenbei erwähnt, auf einem passablen 6. Platz abschlossen).
Es ließ sich im Nachhinein nie ganz aufklären, ob die Vereinsführung aufgrund der anhaltenden Erfolglosigkeit gehandelt hatte, oder ob sich ein Elternteil über die fragwürdigen – weil sehr freizügigen – Motivationsmethoden unseres beleibten Trainers beschwert hatte. Zweiteres war in der durchaus konservativen Wertewelt Hermsdorfs Mitte der 90er Jahre durchaus vorstellbar.
Dennoch blieb sein Auftritt auf ewig unvergessen, für alle von uns. Mit all seinen befremdlichen Bestandteilen. Immerhin, das ist von ihm geblieben. Ich habe ihn allerdings nie wieder gesehen. Besser ist es wohl.
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