Kulturelle Unterschiede

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Ramelow und Jeremies gegen Bastürk und Sükür, im Käfig am Schäfersee. Eine Kiezgeschichte.

von Björn Leffler

Ich bin im Reinickendorf-Weddinger Grenzgebiet großgeworden, zwischen Schäfersee, Resi, Weißer Stadt und „Kutschie“. Die Flugzeuge bretterten tagtäglich über uns hinweg, ohne dass es uns gestört hätte. Mein Abi machte ich an der Friedrich-Engels-Oberschule, in direkter Nachbarschaft zur Residenzstraße. Woolworth war ein üblicher Treffpunkt, die kleine Stadtbibliothek am Schäfersee willkommene Abwechslung und Börek eine beliebte Pausenmahlzeit. Auf der Schule war der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund bei über 40%, ohne dass das in irgendeiner Weise ein Thema gewesen wäre. Es war, man kann es wirklich so nennen, ein harmonisches Miteinander.

Aber trotzdem kam es natürlich in dieser Zeit immer wieder auch zu Zusammenstößen kultureller Unterschiede. Dass man sich am Leopoldplatz abends nicht zu lang aufhalten sollte, wussten wir alle, und dass es im Wedding keine Kuschelmeisterschaft zu gewinnen gab, sowieso. Aber solange man sich an ein paar Regeln hielt, funktionierte das multikulturelle Zusammenleben ganz gut. Ich hatte schnell die Noten der Klassenarbeiten raus, die sich unsere türkischen Mitschüler in ihrer Muttersprache zuriefen, und ich lernte bei Freunden Gerichte aus Russland, Süd-Korea oder Polen kennen. Eine absolut inspirierende Zeit.

Das gemeinsame Miteinander auf einem Gymnasium war natürlich das eine. Der Ton draußen, auf der Straße, war naturgemäß etwas rauer. Eines Nachmittags, es muss in der 12. oder 13. Klasse gewesen sein, kickten wir zu sechst nach der Schule in einem Käfig am Schäfersee, in der Rütlistraße, ein Schotterplatz. Lockeres zwei gegen zwei auf ein Tor. Als eine Gruppe türkischer Jungs uns fragte, ob wir gegen sie ein Spiel machen wollten, verneinten wir, wir wollten unter uns bleiben.

Plötzlich wurde die Stimmung aggressiv.

„Habt ihr was gegen Ausländer oder was?“ war die erste Antwort auf unsere Absage. Unmittelbar bildete sich eine harte Front zwischen den zwei Gruppen. Ich schaute in unsere Reihen, in denen der koeranisch-stämmige Minh-Dug (genannt „Minky“) und der polnisch-stämmige Simon mitkickten.
„Wir haben nichts gegen Ausländer, bei uns spielen auch welche mit.“, entgegnete ich. Mit Begriffen wie ‚Migrationshintergrund‘ hielt man sich im Wedding natürlich nicht lang auf.

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„Na wo ist dann dein Problem Mann? Soll ich dir deine scheiß Ohrringe rausreißen oder was?“ Meine logisch hergeleitete Erklärung führte offenbar nicht dazu, die Situation zu entspannen. Darüber hinaus hatte es der junge Kerl offenbar auf meinen Ohrschmuck abgesehen. Nun gut.

Ich sah mir die Jungs an. Sie hatten normale Straßenkleidung an, Turnschuhe, aber keinen Ball dabei. Natürlich war ich ziemlich angefressen von der offen aggressiven Art, die uns da völlig zu Unrecht entgegengebracht wurde. Irgendwo saß da ein tiefer Frust, für den wir zwar nichts konnten, zu dem wir aber offenbar mit unserer Absagen an ein gemeinsames Spiel weiter beigetragen hatten.

Der Grund für diesen Frust war wohl Ablehnung. Ich kannte den Hintergrund dieser Jungs nicht, aber es war kein Geheimnis, dass es als junger Migrant in dieser Zeit der Jahrtausendwende – hohe Arbeitslosenzahlen und ein aufkeimendes Misstrauen gegenüber dem Islam nach dem 11. September – schwierig war, in der Gesellschaft seinen Platz zu finden.

Wir steckten kurz die Köpfe zusammen und überdachten das kurz. Wir hatten keine Lust auf Stress, einerseits. Und so ein knackiges fünf gegen fünf hatte ja irgendwie auch was. Also einigten wir uns, eine Partie bis zehn zu spielen.

Es kam, was kommen musste, wie eigentlich immer im Wedding. Die in lockerer Straßenkleidung und unpassenden Turnschuhen angetretenen türkischen Hobby-Kicker entpuppten sich als die potenziellen Boatengs von morgen. Das technische Niveau, mit dem sie uns die Pässe durch die Beine zwirbelten, ließ uns schnell verzweifeln und ein paar schnelle Tore kassieren.

Erst anpöbeln lassen und dann noch abgezogen werden, so hatte ich mir den Nachmittag dann auch nicht vorgestellt, bei allem interkulturellen Verständnis. Nachdem wir das 0:4 kassiert hatten, machten wir eine kurze Pause. Nachdem wir uns gegenseitig ein bisschen angezickt hatten, packte uns der Stolz. Vorführen lassen wollten wir uns hier natürlich nicht. Wir entschieden uns, jetzt mal die „deutsche“ Spielweise auszupacken (was mit Süd-Koreanern und Polen im Team nicht ganz stilecht war, aber egal). Wir igelten uns ein, standen kompakt, gingen kompromisslos in die Zweikämpfe und spielten einfache, schnelle Konter. Nach rund 30 Minuten bekamen die Ballzauberer aus der Müllerstraße dann auch schon konditionelle Probleme.

Wir krampften uns humorlos ins Spiel zurück, und es entwickelte sich eine Partie, in dem zwei völlig unterschiedliche Spielphilosophien aufeinandertrafen. Mit anderen Worten: wir waren technisch eher die Carsten Ramelows und Jens Jeremieses dieser Zeit, während uns auf der anderen Seite eher Yildiray Bastürk und Hakan Sükür gegenüber standen.

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Letztlich gewannen wir das Spiel aber, durch einen ansehnlichen Heber sogar, mit 10:7. Was während des Spiels dann immer deutlicher wurde: Es war ein völlig faires Ringen. Es ging zur Sache, aber es war weder nickelig oder irgendwie unfair. Nach dem Siegtreffer war der Jubel auf unserer Seite natürlich groß, hatten wir es ihnen gezeigt, mit teutonischem Willen. Zack! Auf der anderen Seite gingen sie hart mit sich ins Gericht und beschimpften sich lautstark. Das kannte ich natürlich schon aus dem Verein. Wenn es bei den türkischen Teams nicht wirklich läuft, fangen sie an sich gegenseitig zu beschuldigen und verlieren darüber die Konzentration aufs Spiel. Aber wehe sie kommen ins Rollen, dann machen sie dich fix und fertig und verpassen dir noch den zwölften Tunnel, wenn es sich anbietet. Aber dieses Mal ließen wir sie nicht ins Rollen kommen und gewannen am Ende eben.

Ich hatte fast erwartet, von der Gegenseite mit wüsten Beschimpfungen bedacht zu werden, aber die Jungs kamen rüber und verabschiedeten sich mit fairen Shakehands. Es kam keine Entschuldigung für die unrühmliche Auseinandersetzung zu Beginn des Aufeinandertreffens, aber im Grunde sagte diese Geste letztlich alles: Danke für die Teilnahme, danke dass ihr uns nicht abgelehnt habt.

Und mir machte das an diesem Tag klar, dass für ein funktionierendes Zusammenleben häufig mehr passieren muss als die friedliche Co-Existenz. Der Schritt aufeinander zu fällt beiden Seiten manchmal nicht leicht, daher wird er viel zu selten unternommen. Das ist vermutlich rein menschlich, aber trotzdem kein Grund, ihn nicht doch ab und an zu tun.

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