Die Wahrheit liegt aufm Platz. In Zeiten des Bezichtigens der Lüge in sportpolitischen Kreisen widmet man sich besser umso mehr dem realtaktischen Geschehen. Eine Erörterung unserer Ignoranz gegenüber der tiefblickenden DFB-Krise.
Achtung: Hier wird ein Stück Identität in Frage gestellt. Zwischen den Zeilen ist es genau dieser Aspekt, der die mediale Berichterstattung prägt. Wurde die WM 2006 durch Bestechungsgelder nach Deutschland gebracht? Welche Effekte wurden mit der ominösen Zahlung der 10 Millionen Schweizer Franken erzielt? Der Überweisungsträger bleibt unter Verschluss und die Öffentlichkeit im Dunkeln. Spätestens seit der glorreichen Pressekonferenz von Wolfgang Niersbach diskutiert die deutsche Sportöffentlichkeit im Graubereich der Gedächtnislücken, Spekulationen und Anschuldigungen und nähert sich doch nicht dem Kern an.
Festhalten kann man zumindest, dass es ein schöner Irrglaube ist, daran zu glauben, lediglich Deutschland wäre die moralische Instanz, die sich den Gesetzen des Finanzmarkts widersetzt. Selbst wenn keine Gelder von einer in die andere „Schwarze Kasse“ geflossen sind oder es sich zumindest nicht nachweisen lässt, bleibt die traurige Gewissheit, dass sich die Vergabe von großen Veranstaltungen des globalen Sports stets im korrumpierbaren Bereich bewegt. Die Entscheidungsträger sind vernetzt mit den Interessen der Weltpolitik und der Weltwirtschaft und verdienen nicht zuletzt ihr Geld damit, die Interessen des Landes oder des Unternehmens durchzusetzen. Die Infrastruktur muss errichtet, die Durchführung organisiert und die Repräsentationsflächen beschritten werden. Es geht um einen Auftrag, der durch international agierende Unternehmen realisiert wird und die politische Klasse in ihrer Umsetzungsfähigkeit repräsentiert. Es geht um Geld und Renommee. Es geht immer um Geld und Renommee. Und welches Demokratieverständnis in der FIFA vorherrscht, ist unausgesprochen offensichtlich.
Es ist spürbar, dass in der Fan-Szene von den Meldungen und Spekulationen nur ein geringer Anteil überrascht war. Die Fankultur ist sich über die Machenschaften im Hintergrund des Sportes sehr bewusst und nichtsdestotrotz wird der Fußball geliebt. Es ist widersprüchlich und doch logisch. Nie war die Distanz zwischen Sportfunktionären und der Vereinskultur an der Basis größer. Insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Dynamik des Marketings nahezu verselbständigt und den Fußball wirtschaftlich kategorisiert. Emotionalisierung und Personalisierung sind die Grundlagen der Entertainment-Politik. Als Reaktion darauf haben sich gegenläufige Bewegungen herausgebildet. Prominentestes Beispiel ist der FC United of Manchester der selbstitulierten RED REBELS; eine Neugründung des Vereins durch ehemalige Fangruppen von Manchester United, die sich in Old Trafford nicht mehr aufgehoben sahen – finanziell sowie emotional. Kein Einzelphänomen, sondern nur die Spitze des Eisberges einer Bewegung der Fußballromantik, die versucht die wunderbare Welt des Fußballs den Tentakeln der Wirtschaftspolitik wieder zu entreißen.
Trotzdem wird den Granden des Sports weiterhin gefrönt. Dies ist ebenso wenig überraschend, denn natürlich wollen Fußball-Fans großen Fußball sehen. Es ist ein Spannungsverhältnis mit dem jeder von uns lebt. Fern jeder Naivität schwingt die politische Verstrickung und die wirtschaftliche Verwertung stets mit, wenn die Marketing-Monster Christiano Ronaldo, Lionel Messi oder Marco Reus über den Rasen laufen. Die Kunst liegt wohl darin, für 90 Minuten die prägnanten Randerscheinungen auszugrenzen und die Banalität des „Das Runde muss ins Eckige“ zu lieben.
Der Fußball als Spiegelbild der Gesellschaft krankt an denselben Mechanismen wie ebenjene. Aber es gibt eben auch dieselben Potentiale der kollektiven Begeisterung und unberechenbaren Leidenschaft. Diese sehr menschlichen Fähigkeiten widersprechen den Gesetzen und der Kontrollwut des Finanzmarktes. Für diesen zählt eben nur der zahlende Kunde und der ist am besten gesichtslos und im gleichgeschalteten Dauerkonsumrausch – die Klatschpappe in der einen, das Bier oder die Wurst in der anderen Hand. Es ist eben jenes Schreckgespenst, welches den Sport in den Hintergrund versucht zu drücken. Da ist einem selbst das Abstiegsgespenst ein willkommenerer Gast. Inzwischen ist die Unterklassigkeit schon fast als Verheißung der Befreiung von der kommerziellen Zwangsjacke zu bezeichnen.
In den Stadien hört man schon länger „Fußballmafia DFB“ aus der Kurve schallen. Vordergründig geht es hierbei um vermeintlich tendenziöse Fehlentscheidungen der Schiedsrichter. Hintergründig ist dabei aber vor allem das mangelnde Vertrauen in die Organisation Deutscher Fußball Bund. Es ist ein deutliches Zeichen einer entrückten Welt – die Kluft scheint unüberbrückbar. Die zunehmenden Proteste der Fans – sei es die beeindruckende Aktion 12.12 oder der Kampf gegen Topzuschläge und absurde Anstoßzeiten, die keine Rücksicht auf die reisende Fanszene nimmt – demonstriert das fehlende Verständnis füreinander. Die Scheindiskussion der aktuellen Problematik um nicht zuzuordnende Zahlungen geht ebenso an der Realität vorbei. Kaum jemand nähert sich der bitteren Erkenntnis an: Der Fußball wurde durch die Machenschaften der Wirtschaft entwurzelt und somit zu Grabe getragen. Doch jedem Ende liegt ein Anfang inne…
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