Antonin Panenka hat den Fußball geprägt – Jay Jay Okocha hat ihn spielerischer gemacht – Leonidas da Silva hat ihn revolutioniert. Ein Mann, der zumindest in unseren Sphären scheinbar in Vergessenheit geraten ist, dem aber quasi mythologisch die Erfindung des Fallrückziehers zugeschrieben wird, erfährt auch heute noch regelmäßig in den Fußballstadien der Welt kontinuierlich seine Ehrung postmortem. Leonidas da Silva stürmte in den 1930er Jahren für die brasilianische Selecao und die brasilianischen Topclubs FC Sao Paolo, Botafogo, Vasco da Gama und Flamengo.
Berühmt wurde der wahlweise „schwarzer Diamant“ oder „Gummimann“ gerufene Ausnahmespieler spätestens während der Weltmeisterschaft 1938 in Frankreich, als er in der Partie gegen Polen im matschigen Boden barfuss die gegnerischen Abwehrreihen narrte. Leonidas da Silva erzielte in der Verlängerung zwei Tore innerhalb von 14 Minuten und Brasilien zog nach einem 6:5 nach Verlängerung in dasViertelfinale des Weltturniers ein. Eines davon per Fallrückzieher, sowohl Zuschauer als auch die Presse waren berauscht von der artistischen Fußballkunst. Auch wenn Brasilien lediglich den dritten Platz erringen konnte, wurde Leonidas da Silva mit acht Treffern Torschützenkönig und darüber hinaus zum Spieler des Turniers gekürt.
Ob der Gründungsmythos dieser Spieleinlage ihm wirklich zuteil werden darf, darüber gibt es geteilte Meinungen. Während in Italien sowohl der Mittelstürmer Silvio Piola als auch der Abwehrspieler Carlo Parola (Signor Rovesciata – Herr Fallrückzieher) als maßstäblich für die Historie des Fallrückziehers gelten, sehen die Chilenen in ihren Fußballhelden Ramón Unzaga und David Arellano die wahren Pioniere des Fallrückziehers. Schon 1914 soll Unzaga die Einlage dargeboten haben, die Arellano 1927 erstmals international hoffähig machte. Dementsprechend wird auch in einem Großteil der iberoamerikanischen geprägten Welt der Fallrückzieher als „La chilena“ bezeichnet. Leonidas da Silva kam der Ruhm jedoch in besonderem Maße zuteil, weil er diese Spielkunst als erster bei einer Weltmeisterschaft demonstrierte – das Momentum spielt bei der Legendenbildung halt auch immer mit.
Seitdem ist der Fallrückzieher zum Insignium der Großartigkeit des Spiel mit dem runden Leder geworden. So gut wie jeder große Fußballer hat ihn drauf und auch schon gerne mal eingesetzt. Hier trennt sich dann aber auch stets die Spreu vom Weizen, denn so grazil einige Könner des Geschäfts in der Luft liegen und den Ball akkurat einnetzen, so misslingt bei so manchem anderem der Kunstschuss aufs Gröbste, so dass man schon eher um dessen Gesundheit fürchten oder den Ball bemitleiden muss. Der Fallrückzieher ist halt nichts für schwache Nerven und Knochen. Er basiert auf einer der komplexesten Bewegungsformen im Spiel mit dem Ball und wirkt deswegen wie die Krönung des Fußballspiels. So ist es auch kein Zufall, dass unsere Faszination sich auch in Zahlen niederschlägt: Klaus Fischers Fallrückziehers 1977 gegen Schweden wurde durch die deutsche Fußball-Öffentlichkeit zum „Tor des Jahrhunderts“ gewählt. Bei der Wahl zum Tor des Monats im Rahmen der Sportschau haben die Bewerber die größte Gewinnwahrscheinlichkeit, die quer in der Luft liegen, während sie das Tor anvisieren.
Derjenige, der diese Spielform erstmals auf der größten Fußballbühne gezeigt hat, wurde vor genau 103 Jahren in Rio de Janeiro geboren. Nach seiner Karriere wurde er zu einem der berühmtesten Sportreporter Brasiliens – seine Expertise war stets gefragt. Trotz seines Todes im Januar 2004 bleibt seine Ballkunst im Fußballsport stets präsent. Zum Glück nicht nur in Brasilien. Vielen Dank dafür!
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