Alles für die eigene Sache. Doch was ist die eigene Sache und welche Methoden sind entsprechend anwendbar? Steht der eigene Ruhm über dem Erfolg des Vereins? Steht der Erfolg der Mannschaft über der Sportart? Steht die Auflage über dem gegenseitigen Respekt? Offenkundig, aber eigentlich mitnichten.
Fehlentscheidungen sind Teil des Sports. Sowohl Spieler und Schiedsrichter als auch die Fans unterliegen aufgrund emotionaler Anspannung und der entsprechenden Überbetonung der eigenen Perspektive fehlerhaften Einschätzungen, die zu unrechtmäßigen Handlungen führen. Diese werden in manchen Fällen sanktioniert und in anderen eben nicht – auch das ist Teil des Sports. Nach zwei Wochen nahezu absurder Fouldebatte in der Bundesliga lässt sich jedoch erneut erkennen, dass wir es in Sachen FairPlay mit einem strukturellen Problem zu tun haben.
Allgemein ist die mediale Bewertung von Fouls widersprüchlich und demonstriert eher die Verrohung der Sitten als eine vermeintliche Orientierung am FairPlay-Gedanken, der gerne als Plattitüde vor sich her getragen wird. So werden insbesondere in schwierigen Situationen Fouls eingefordert „um ein Zeichen zu setzen“ für die eigene Mannschaft. Es sei wichtig von Beginn an „sich Respekt zu verschaffen“. Über Fouls – auch taktischer Natur – wird dann gerne der Deckmantel der Kampfesbereitschaft gelegt. Die Botschaft dahinter: Wenn es nicht läuft, kann auch gerne mal regelwidrig gespielt werden. Und wenn die eigene Mannschaft vorne liegt, dann kann auch gerne mal ein wenig an der Uhr gedreht werden. Dabei wird offenkundig der heilig inszenierte FairPlay-Impuls diskreditiert. Die eigenen Interessen gehen nun mal vor.
Auch in der leidlichen Fouldebatte offenbart sich in eigentlich unglaublicher Weise die Doppelmoral des Geschäfts. Botschaften werden aus dem Zusammenhang gerissen und zugunsten der eigenen Aufmerksamkeit verzerrt dargestellt. Auslöser der ganzen Misere war eine Pressekonferenz nach dem Spiel Leverkusen gegen Dortmund. Thomas Tuchel reagierte nach einer Niederlage genervt auf die Feststellung Roger Schmidt, ein faires Spiel gesehen zu haben. Emotional angespannt nach einer (verdienten) Niederlage und der Kenntnis zwei Spieler seiner Mannschaft schon in der Halbzeit verletzt verloren zu haben, berief er sich lediglich auf ein Missverhältnis in der Foulstatistik zulasten seines Teams. Statt eines wütenden Kommentars platzierte er eine sachliche Analyse. Nur Roger Schmidt konnte damit halt nicht umgehen und beschuldigte die Dortmunder, sie seien geschickt darin „Fouls zu ziehen“. Eine Diskussion war geboren und gipfelte in diesem Wochenende.
Nach zweiwöchiger Aufhitzung der Diskussion machte sich Sky beim Spiel des BVB gegen Hertha BSC lächerlich, als sie nach jedem Schiedsrichterpfiff die aktuelle Foulstatistik einblendeten, um dem Äffchen ein Stück Zucker hinzuwerfen. Das (recht gute) Fußballspiel trat in den Hintergrund und es ging nur noch darum, die Aussage Tuchels zu widerlegen, ihm gleichsam ein Schlechter-Verlierer-Image zu verpassen und den Sport als „Männersportart“ zu mythologisieren. Die Aussagen Pal Dardais nach dem Spiel hierzu sind leider auch nicht gerade zuträglich gewesen, aber dieser hat auch nur das mediale Spielchen der Hexenjagd mitgespielt. Im Rahmen des Doppelpass bei Sport1 wurde am gestrigen Sonntag dann auch gleich in zwielichtiger und im besten Sinne postfaktischer Manier zunächst der Charakter und dann die Bundesligatauglichkeit von Thomas Tuchel infrage gestellt. Offenkundig „entrüste er sich“ deswegen so sehr, „weil er seine Rüstung abgelegt“ hat. Er sei angreifbar, „weil offenbar Unzufriedenheit“ im Dortmunder Lager herrsche. In der Art und Weise eines Elternabends wurde da über ein eventuell verzogenes Kind gesprochen und im freudigen Zweiminutentakt eine neue überspitzt formulierte Anschuldigung vom Leder gezogen. Da hilft nur noch abschalten, weil dieses elende Gebrabbel einer „Männersportart“ eben nicht gerecht wird. Wer sich die Mätzchen auf und neben dem Platz anschaut, fühlt sich eher an einen Kindergarten erinnert, als an aufrichtige Manneskraft. Zu einer „Männersportart“ gehört respektvoller Wettbewerb, in dem sich jeder seiner eigenen Kraft und Talente bewusst ist und die Vor- und Nachteile des anderen akzeptiert – genauso wie die Haltung und Meinung. Wer sich nur mit verbalem Kleinkrieg und gerissener Trickserei im Wettbewerb zu helfen weiß, der hat in einer „Männersportart“ eigentlich nichts verloren, weil er dem Sport an sich nachhaltig schadet.
Als Sebastian Langkamp nach dem Spiel gegen Dortmund vor den Kameras eingestand, dass er „vielleicht übertrieben“ habe, war er glücklicherweise aufrichtig. Noch besser wäre es gewesen, er hätte direkt auf dem Platz zur Richtigstellung der Situation beigetragen und sich für Emre Mor eingesetzt. Immerhin war er an dem Platzverweis für den Dortmunder maßgeblich beteiligt, nachdem er ihm aus taktischen Gründen mit einiger Inbrunst versuchte, die Hose vom Leib zu reißen. Überspitzt könnte man an dieser Stelle auch Emre Mors FairPlay-Gedanken betonen, da er sich eben nicht beim erstbesten Zupfeln auf den Boden schmiss, sondern das unfaire Verhalten Langkamps akzeptierte und dennoch Richtung Tor dribbelte. Die theatralische Einlage Langkamps auf das unsachgemäße Verhalten des Jungspunds führte den sportlichen Wettstreit dann endgültig leider ad absurdum. Langkamp orientierte sich in dieser Situation halt eher an dem Vorteil des Vereins als an den Prämissen des Sports.
Eine selbstkritische Reflexion ist in angespannter Atmosphäre natürlich schwierig und deswegen liegt hierin natürlich ein ungemein utopisches Potential, aber es gibt sie eben doch die guten Beispiele, in denen Fußballer direkt auf dem Platz ihr Fehlverhalten zugunsten des Gegners und damit des Fußballs eingestehen. Miroslav Klose und Marius Ebbers sind beispielsweise Profis, die auf Fehlentscheidungen des Schiedsrichters zu ihren Gunsten gut und gerne verzichten können. Negativbeispiele gibt es leider jedoch genug. Leon Andreasen mit seinem Volleyballtreffer und Stefan Kießling mit seinem Phantomtor können repräsentativ gesehen werden für die breite Masse an potentiell unsportlichem Verhalten, bei dem alles erlaubt ist, was der Schiedsrichter nicht ausreichend sanktioniert. Demzufolge beobachten wir Spieltag für Spieltag manipulatives Verhalten und taktische Fouls fernab von wirklichen Zweikampfsituationen.
Auch sollten wir eventuell darüber nachdenken, ob taktische Fouls lediglich mit einer gelben Karte bestraft werden sollten. Hinter taktischen Fouls steckt ein bewusstes regelwidriges Verhalten. Ein Spieler, der auf bestem Weg zum Tor oder in eine vermeintlich spielentscheidende Szene ist, und dann aus taktischen Gründen gefoult wird, ist Opfer einer Notbremse. Und dabei sollte eigentlich keine Rolle spielen, ob dadurch eine klare Torchance vereitelt wurde, sondern die Intention des Handelnden bewertet werden. Fußballer, die bewusst den Spielfluss manipulieren und in der Vorteilverschaffung auch eine Verletzung des Gegenspielers fahrlässig inkaufnehmen, werden allenthalben mit einer gelben Karte verwarnt. Setzen wir eine Situation dagegen, in der der Verteidiger unglücklich den Zweikampf verliert und dann als letzter Mann vom Platz gestellt wird, lässt sich meiner Meinung nach eine eklatante Fehlentwicklung erkennen, da sie nicht dem offenen Wettstreit entspricht. Im offiziellen Regelwerk wird bezüglich von Fouls von „Fahrlässigkeit“, „Rücksichtslosigkeit“ und „übermäßiger Härte“ gesprochen. Entlang dieser zu interpretierenden und zu differenzierenden Maßstäbe wird das Ausmaß der Verwarnung beziehungsweise Bestrafung festgelegt. Die Einordnung von taktischen Fouls ist diesbezüglich schwierig, denn sie sind zwar meistens nicht als hart zu bezeichnen, aber wohlgemerkt als „übermäßig“.
Unglückliche beziehungsweise fahrlässige Fouls im Kampf um den Ball sind natürlich verwarnungswürdig, Fouls im Kampf gegen den Gegner sowie kalkulierte Fouls taktischer Natur (Zeitspiel, Notbremse, versuchte Manipulation des Schiedsrichters) sind aber Tätlichkeiten am Sport. Je nach Bedarf wird aber insbesondere hier gerne der eigene Nutzen unterstrichen und das Regelwerk entsprechend interpretiert. Das Vertrauen auf den Schiedsrichter als Korrektiv entwickelt eine Logik der Verantwortungsübertragung. Dabei ist jeder einzelne Stadiongänger auf und neben dem Platz an der ordnungsgemäßen Durchführung des Spiels beteiligt. Wer das Recht immer nur für sich auslegt, der höhlt es aus. Und so muss – allen Fehlentscheidungen des Schiedsrichtergespanns zum Trotz – eine klarere Linie im Sinne des Fußballs gefahren werden. Unsportliches Verhalten muss von Beginn an und entsprechend der Offenkundigkeit geahndet werden. Problematisch dabei ist: Ähnliche Situationen werden durch die Schiedsrichter entsprechend der Uhr eingeordnet. In den ersten zehn bis zwanzig Minuten muss sich ein Fußballer schon sehr anstrengen, um eine gelbe Karte sein eigen nennen zu dürfen. Hierdurch entsteht bei allen Regelverstößen eine weiterer einzubeziehender Faktor, wodurch jedoch das eigentliche Foul in den Hintergrund rückt. Und vor allem steigt das Verletzungsrisiko für die Beteiligten auf dem Platz, da die Spieler erstmal austesten dürfen, welche Linie der Referee fährt.
Die Vorteilnahme auf Kosten des Gegners im Spiel, die polemische Diskussion einzelner Aussagen und die Kategorisierung zwischen glorreichem Gewinner und schlechten Verlierer dämonisieren den sportlichen Wettkampf und sind Respektlosigkeiten, die dem Fußball nachhaltig schaden. Der Kampf gegen Windmühlen geht weiter…
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