Sepp Maier, Wien und Youtube – wie Antonin Panenka zur Legende wurde

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von Björn Leffler

Antonin Panenka. Das erste, was mir dabei merkwürdigerweise durch den Kopf schießt, ist Uli Hoeneß. Der junge Hoeneß, noch blond gelockt, wie er im Elfmeterschießen des EM-Finales 1976 den Ball über die Latte drischt, den letzten Elfer der westdeutschen Elf, beim Stande von 4:3 für die CSSR. Hängender Kopf. Zur Mittellinie zurück schlurfend. Böses ahnend.

Hoeneß wird damit ungewollt zum Wegbereiter eines der legendärsten Elfmeters der Fußball-Geschichte. Gleich im ersten jemals bei einem Nationalmannschafts-Turnier ausgetragenen Elfmeterschießen gelingt dem tschechoslowakischen Spielmacher Antonin Panenka ein ikonenhafter Schuss, der mehr ein Schlenzer, ein Heber, ein Streichler, ein Lopp ist. Ein sensationeller, gewitzter, eiskalter, frech-arroganter Abschluss.

Europameister 1976

Es ist der entscheidende Elfmeter zum Titelgewinn, gegen niemand geringeren als Welt- und Europameister Sepp Maier, der in die von ihm aus gesehen linke Ecke abtaucht. Maier bleibt liegen. Panenka dreht ab, die Arme hochreißend. Und wird begraben, unter seinen jubelnden Mitspielern, vom tosenden Jubel des Belgrader Publikums begleitet.

Die Tschechoslowaken, als Außenseiter in das Finale gegen Titelverteidiger West-Deutschland eingezogen, heimsten damit ihren ersten und bis heute einzigen EM-Titel ein. Und wie es mit ikonenhaften Begebenheiten der Sport-Historie eben so ist, weiß im Nachhinein eigentlich kaum noch jemand, was davor und was danach so genau passiert ist.

Dass sich die Tschechoslowaken nicht etwa ins Elfmeterschießen gerettet hatten, sondern ein bewegtes Spiel vorausgegangen war, in dem die starken Osteuropäer dominiert und bereits nach 25 Minuten mit 2:0 geführt hatten und die behäbigen Deutschen erst durch ein Hölzenbein-Tor in der 90. Minute die Verlängerung erreichten. Dass die Tschechoslowaken nicht nur den amtierenden Weltmeister sondern auch Vizeweltmeister Holland im Halbfinale mit 3:1 n.V. besiegt hatten.

Und dass Antonin Panenka eben mehr war als nur der entscheidende, schlitzohrige Schütze zum entscheidenden 5:3 im Elfmeterschießen eines EM-Finals.

Mittelfeldregisseur bei Bohemians Prag und Rapid Wien

Der technisch versierte Spielmacher, der seit seiner Jugend, von 1958 bis 1981, bei seinem Heimatverein Bohemians Prag spielte, war lange Jahre der unumstrittene Spielmacher der tschechoslowakischen Nationalmannschaft, erzielte in 59 Länderspielen 17 Tore. In seinen 127 Spielen für Bohemians Prag erzielte er nicht weniger als 63 Tore. Großartige Werte für einen Mittelfeldspieler, was natürlich auch bei höherklassigen Vereinen nicht unbemerkt geblieben war. Allerdings war es den Fußballern in der CSSR erst im Alter von 32 Jahren und nach absolvierten 45 Länderspielen gestattet, ins Ausland zu wechseln.

Das tat Panenka dann unmittelbar nach seinem 32. Geburtstag auch. Trotz besser dotierter Angebote aus Spanien oder Belgien wechselte er zu Rapid Wien, was insbesondere aus Rücksicht auf seine Familie geschah (in Wien gab es eine tschechisch-sprachige Schule, die Nähe zur Heimat tat ihr übriges).

Europacupfinale 1985

Bis 1985 erzielte er dort in 172 Pflichtspielen sensationelle 77 Tore, holte zwei Meisterschaften, drei Pokalsiege und erreichte mit den Wienern das Europapokalfinale der Pokalsieger 1985, welches gegen den FC Everton schließlich 1:3 verloren ging. Wenn man sich ausmalt, wie illusorisch es heutzutage ist, dass eine österreichische Vereinsmannschaft ein Europapokalfinale erreicht, kann man in etwa einschätzen, auf welch hohem Niveau Antonin Panenka selbst mit Mitte dreißig noch zu spielen imstande war. Gemeinsam übrigens mit der österreichischen Stürmer-Legende Hans Krankl, der ebenfalls ein Experte darin war, den westdeutschen ab und an in die Suppe zu spucken. Stichwort Cordoba. Dies aber ist eine andere Geschichte.

Panenka und die CSSR nahmen vier Jahre nach ihrem Triumph von Belgrad erneut an der EM-Endrunde teil, dieses Mal in Italien. Als Titelverteidiger erreichten Sie in der Vorschlussrunde, erneut in einer Gruppe mit der BRD und den Niederlanden, den zweiten Platz, was ihnen den Einzug ins Spiel um Platz 3 bescherte. Welches sie gegen Gastgeber Italien gewannen, im Elfmeterschießen natürlich, 9:8. Auch dieser 3. Platz ist enorm hoch zu bewerten. Das letztlich entscheidende Spiel um den Einzug ins Finale verloren die Mannen um Panenka gegen die Westdeutschen nur knapp mit 0:1.

Zwei Jahre später gelang den Tschechoslowaken auch die Teilnahme an der Fußball-Weltmeisterschaft 1982 in Spanien, wo die Mannschaft allerdings in der Vorrunde scheiterte.

Legendäre Bilder

Antonin Panenka darf also zweifelsohne als Kopf und Führungsfigur einer tschechoslowakischen Fußballergeneration angesehen werden, welche bis heute unerreichte Erfolge feierte. Was von ihm geblieben ist, ist in der Rückschau allerdings wenig mehr als sein genialer Heber in der Nacht von Belgrad. Weil die Geschichte der Welt und die Geschichte des Sports eben gern in großen Bildern erzählt wird.

Diese Bilder erzählen allerdings meist nur einen kleinen Teil der Wahrheit. Denn letztlich hat Diego Maradona nicht nur mit der „Hand Gottes“ die Engländer aus der WM 1986 befördert, war Roberto Baggio mehr als ein nervenschwacher Elfmeter-Schütze in der Sonne Pasadenas und Zinedine Zidane mehr als jemand, der Konflikte am liebsten mit der Stirn im Bauch seines Gegenspielers bewältigen wollte.

All diese Bilder, all diese Momente, sind zu ikonografischen Bildern ihrer Zeit geworden. Aber dies natürlich nur, weil die beteiligten Protagonisten davor und danach großes geleistet haben. Nur deshalb lag der Fokus der ganzen Fußballwelt auf ihnen, und nur deshalb wirken die Bilder bis heute nach.

Wie auch Antonin Panenka, dessen Stil, einen Elfmeter auf eben diese Art und Weise zu versenken, bis heute Nachahmer findet – übrigens mal mehr und mal weniger erfolgreich.

Sepp Maier, der Düpierte

Ein kleiner Nachtrag noch zu Sepp Maier, dem düpierten Torhüter der BRD in eben jenem legendären Finale. Der war 1976 bereits selbst eine Legende und ging mit dem entsprechenden Selbstverständnis in dieses Finale, wie in jedes Spiel zuvor. Antonin Panenka wird ihm sicher ein Begriff gewesen sein. Seine Art, Elfmeter zu schießen, kannte er aber offensichtlich nicht. Etwas mehr Recherche vor dem Spiel hätte dem Keeper möglicherweise den entscheidenden Vorteil verschaffen können, denn Panenka hatte seine Elfmeter bereits in der vorangegangenen Liga-Saison mehrfach auf eben diese Weise verwandelt.

Zugegebenermaßen ist das für die heutige Torhüter-Generation im Zeitalter von Youtube und Smartphones deutlich einfacher, als es das damals gewesen wäre.

Und es wäre ja auch irgendwie profan gewesen, hätte Sepp Maier den Ball einfach mit der Mütze gefangen. Dann würde heute niemand von einem „Panenka“ sprechen, wenn ein Elfmeter elegant-königlich in die Maschen geloppt wird. Wie es beispielsweise auch Zinedine Zidane getan hat, in einem anderen großen Finale, 2006 in Berlin.

So aber, weil Sepp Maier eben kein Youtube hatte, und Uli Hoeneß kurz zuvor die Nerven verlor, ist Antonin Panenka gemeinsam mit seinem Elfmeter zur Legende geworden.

Vielmehr kann man wohl kaum erreichen.

 

In unserer „Videobeweis“-Kategorie finden sich einige der hier beschriebenen Ereignisse nochmal in bewegten Bildern:

Europapokalfinale 1985: Rapid Wien vs FC Everton

Hommage an Antonin Panenka – Simply the Best

Der legendäre Elfmeter aus dem EM-Finale 1976

 

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