Bayer Leverkusen wird gut und gerne zu den Plastikvereinen der Neuzeit gezählt, die gänzlich ohne Tradition auskommen. Dass dies nicht unbedingt der Realität entspricht, ist dem Hauptteil der fußballaffinen Bevölkerung durchaus bewusst, aber es macht eben so viel Spaß die Leverkusener damit aufzuziehen, dass sie eben „nur“ ein Werksverein sind, der im 20. Jahrhundert stark von den internationalen Verflechtungen des Unternehmens Bayer profitiert hat. Und dabei gehören sie zu den großen Vereinen der Bundesliga-Geschichte. Immerhin schon 1904 gegründet, haben sie auch schon so einiges auf dem Kerbholz.
Die wohl größte Zeit erlebte der Verein Ende der 1980er Jahre und zu Beginn der 1990er als Calli Calmund noch die Großen des DDR-Fußballs an den Rhein lockte, bevor er sich dann ab Mitte der 90er Jahre den Brasilianern widmete. Der Verein gehört seitdem unweigerlich zu den sechs erfolgreichsten Vereinen in der Bundesliga und wird dennoch stetig kritisch beäugt. Insbesondere seit mit Wolfsburg, Ingolstadt, Hoffenheim und Leipzig vermehrt widerborstige Vereinsstrukturen in der höchsten deutschen Spielklasse sich breit machen, wird der Werksverein gerne mit in Sippenhaft genommen und seine Relevanz für die deutsche Fußballkultur infrage gestellt.
Man muss den Leverkusenern dabei aber zu gute halten, dass sie neben der langen Zugehörigkeit zur Bundesliga zumindest auch Traditionen begründet haben. Zum Beispiel die der brasilianischen Durchgangsstation zum europäischen Fußball, die sie in den 1990er Jahren der PSV Eindoven streitig machten oder die Rolle des ewigen Zweiten, die derzeit von den Borussen aus Dortmund mehr oder minder bekleidet wird. Eine weitere gute alte Tradition ist, dass Leverkusen im Achtelfinale der Champions League sich aus dem Wettbewerb verabschiedet. Natürlich nicht ohne nochmal für so richtig Enthusiasmus unter den gegnerischen Fans zu sorgen. Vorzugsweise in spanischen Stadien lassen sich die Leverkusener immer so richtig die Bude vollhauen. Irgendwie schön diese Berechenbarkeit, die wir wohl auch heute abend wieder erleben dürfen, wenn Bayer bei Atletico Geschichte schreiben muss, um überhaupt noch eine Chance aufs Viertelfinale zu haben. Immerhin hat noch nie eine Mannschaft in der Champions League die nächste Runde erreicht, wenn sie vorher mit zwei Toren Unterschied zu hause verloren hatte und Atletico ist nun leider auch nicht dafür bekannt, dem Gegner übermäßig viele Torgelegenheiten zu geben. Aber die Leute gehen ja zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht… So war es jedenfalls mal.
Wir wollen jedenfalls zur Einstimmung auf die heutige Partie euch ein paar zusammengeschnittene Impressionen aus der Vereinsgeschichte von Bayer 04 Leverkusen präsentieren, die ein beinharter Fan zu einem launigen Youtube-Video gebastelt hat und mit dem großartigen Titel „Geschichte eines Traditionsvereins“ versehen hat. Zur genaueren Einordnung seiner Meinung hat er das ganze noch mit dem Zitat: „Bayer Leverkusen spielte bereits 1951 in der höchsten deutschen Spielklasse. Wer hier von fehlender Tradition spricht entlarvt sich selbst als unwissenden Dummkopf.“ garniert. Ohne Zweifel kommt man zu dem Schluss: Die Werkself hat Geschichte geschrieben – gewollt und ungewollt. Und: Tradition ist und bleibt verhandelbares Konstrukt unterschiedlicher Perspektiven. Wir erfreuen uns jedenfalls an diesem kleinen Glanzstück sporthistorischer Bedeutung, welches unbestritten als Beitrag fungiert, die ab und zu aufgeblasene Debatte über Tradition oder Plastik mit Argumenten zu füttern.
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