Die Fangruppen von Union Berlin und Hertha BSC beschwerten sich massiv über das dilettantische Verhalten von Polizei und Sicherheitskräften bei ihren Pokal-Auswärtsspielen in Dortmund und Hamburg – und zwar zurecht. Dennoch nahmen sie ihrer Kritik während der Spiele leider selbst jeglichen Wind aus den Segeln.
von Björn Leffler
Der Aufschrei der Union-Fans war groß. Lange war bekannt, dass die Köpenicker mit einer wahren Armada von rund 12.000 Fans zum historisch einzigartigen DFB-Pokal-Auswärtsspiel nach Dortmund anreisen würden. Polizei und Sicherheitskräfte vor Ort hatten wochenlang Zeit, Einsatz und Sicherheitskonzept aufeinander abzustimmen.
Was vor Ort dann letztlich heraussprang, wurde schon in zahlreichen Foren und Beiträgen detailliert beschrieben. In der Kurzfassung lässt es sich wie folgt zusammenfassen: Der Großteil der Union-Fans wurde drei Stunden vor Spielbeginn von der Polizei am Hauptbahnhof Dortmund in Empfang genommen und zum Stadion geleitet. Die Fans, die es mit der Dortmunder U-Bahn versuchten, sahen sich einem heillosen Verkehrschaos gegenüber. Dennoch gelangten alle Fans rechtzeitig zum Stadion, so dass 60 Minuten vor Anpfiff rund 12.000 Fans auf den Einlass ins Westfalenstadion warteten.
Der Dortmunder Sicherheitsdienst hatte dann die famose Idee, alle 12.000 Fans durch sieben Drehkreuze ins Stadioninnere zu führen, was erwartbarerweise nicht funktionierte. Trotz einer kurzfristig nach hinten verlegten Anstoßzeit und der hektischen Öffnung eines Sicherheitszauns verpassten viele Union-Fans den Großteil der ersten Halbzeit, so dass sie ihre aufwendige Choreographie dann erst zur zweiten Halbzeit durchführen konnten. Dies ist ärgerlich, aber umso fassungsloser macht einen die plötzliche Gefahrensituation, die Polizei und Veranstalter dort heraufbeschwört hatten. Nach jahrzehntelanger Erfahrung mit der Durchführung von Sportveranstaltungen, die in Dortmund regelmäßig von 80.000 Zuschauern besucht werden, war diese Situation geradezu abstrus.
Einen Abend zuvor in Hamburg war alles eine Nummer kleiner: Der FC St. Pauli erwartete Hertha BSC und 29.000 Zuschauer zur Zweitrundenpartie im DFB-Pokal. Die 3.000 Karten, die an Hertha BSC gegangen waren, waren innerhalb weniger Stunden vergriffen, so dass sogar noch ein Zusatzkontingent nach Berlin geschickt wurde. Auch in Hamburg werden regelmäßig Spiele der 2. Bundesliga veranstaltet, und die Zahl von 3.000 Auswärtsfans ist zwar stattlich, sollte aber für die Organisatoren keine außergewöhnliche Herausforderung darstellen.
Auch hier glänzte die Polizei vor dem Anpfiff durch massive Präsenz, um die Fangruppen sicher zum Stadion zu geleiten. Aber auch hier zeigte sich vor dem Stadion eine katastrophale Einlass-Situation. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen wurden die Fans der Hertha in einen engen Korridor ohne Fluchtmöglichkeiten gepresst, wo sie bis zu einer Stunde verharrten, um letztlich in einem gewaltigen Geschiebe durch zwei (!) Drehkreuze ins Stadioninnere geschoben zu werden – die meisten, ohne ihre Karte gezeigt zu haben oder einer Leibesvisitation unterzogen worden zu sein. Ein absolutes Versagen der Sicherheitskräfte, das wie schon in Dortmund gefährliche und eigentlich nicht zu tolerierende Auswirkungen hatte.
Die Polizei und die Sicherheitskräfte in Dortmund argumentierten nach den Vorfällen rasch, dass sie vor der Partie darüber informiert worden waren, dass die Union-Fans in Dortmund ihre größte Pyro-Show aller Zeiten planten. Die strengen Kontrollen und der hohe Zeitverzug beim Einlass wurden damit gerechtfertigt.
Großartig wäre es gewesen, hätten die Sicherheitskräfte nicht einen einzigen Nebeltopf, nicht eine einzige Leuchtrakete gefunden, um so das ganze, völlig fehlgeleitete Sicherheitskonzept zu entlarven. Aber genau dies ist natürlich nicht passiert. Die Polizisten stellten ein ganzes Arsenal an Pyrotechnik sicher, und dennoch gelang es einer nicht unerheblichen Zahl von Fans, Pyrotechik mit ins Stadion zu nehmen und dort für die mittlerweile obligatorische Spielunterbrechung zu sorgen.
In Hamburg zeigte sich, was die Pyrotechnik angeht, ein noch viel schlimmeres Bild. Durch die quasi nicht erfolgten Kontrollen waren große Mengen von von Fackeln und Nebeltöpfen ins Stadion gelangt, welche zu Spielbeginn (Spielunterbrechung…) und jeweils nach den zwei Toren von den Hertha-Fans abgefackelt wurden. Auch hier zeigte sich aus Sicht der Sicherheitskräfte wieder: Wir waren noch zu gnädig, wir haben es mit Kriminellen zu tun. Mit Unbelehrbaren. Und sie lachen uns noch aus.
Der Slogan „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ gehört ja in den Fankurven der Republik, vor allem bei den Ultragruppierungen, zu den populärsten Meinungen, die seit Jahren wiederholt, ausdauernd und lautstark in die Stadien und Straßen skandiert werden. Ziel dieser offenen Kritik sind stets – wie überraschend, wie innovativ – DFB und Polizei, und gerechtfertigt wird das Abbrennen von Pyrotechnik stets damit, dass sich darüber in den 80er oder 90er Jahren ja auch niemand geärgert hätte.
Was hierbei gern verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass es in Deutschland in den 80er und 90er Jahren überhaupt keinen vergleichbaren Umgang mit Pyrotechnik gegeben hat. Bei großen Spielen der 1. oder 2. Bundesliga kam es mitunter vor, dass in den Fanblocks ein, zwei, mitunter auch mal drei Fackeln brannten, und das war es dann meist auch schon. Was sich aber heute in den Stadien abspielt, ist ein derartig massiver und ebenso aggressiver Umgang mit Pyrotechnik, dass jegliches Maß längst verloren gegangen ist. Raketenbeschüsse gegnerischer Fanblöcke und bewusste, massive Störungen des Spielablaufs gehören genauso zum selbstverständlichen Repertoire wie die Androhung von Prügel, sollte man auf die Idee kommen, im Auswärtsblock ein Foto vom Spiel oder den mitgereisten Fans machen zu wollen – könnte das Bild schließlich zur Identifizierung der Straftäter verwendet werden.
Die Fans, die ihre pyromanische Leidenschaft so zügellos ausleben und damit dem DFB und den Sicherheitskräften immer wieder ihren riesigen Stinkefinger zeigen, setzen damit eine noch immer relativ liberale Fankultur aufs Spiel, die das Stadionerlebnis in Deutschland so einzigartig macht. In England, Frankreich und vor allem Italien sehen sich Auswärtsfans mittlerweile so starken Restriktionen gegenüber, dass es mitunter überhaupt keine Auswärtskultur mehr gibt. Vor allem in Italien ist die Schuld auch fast ausnahmslos bei den Fans selbst zu suchen, die sich über Jahrzehnte in Gewaltorgien, rassistischen Anfeindungen und der Verachtung der Staatsgewalt badeten. Bis es Tote gab, und zwar auf beiden Seiten.
In Deutschland sind wir noch nicht so weit, von Gewaltorgien und organisiertem Verbrechen sprechen zu müssen. Aber es ist eindeutig, dass die Fangruppierungen das Ziel haben, die Grenzen immer weiter auszureizen. Es mutet daher dann – leider – fast schon lächerlich an, wenn sich die Fans über zu strenge und unverhältnismäßig harte Sicherheitskontrollen, Auflagen und Polizei- und Ordnungskräfte empören. Kritische Selbstreflexion wird in den meisten Fällen vergeblich gesucht.
Der Reinigungsprozess müsste wohl innerhalb der Fanszenen selbst vonstatten gehen, aber das ist genauso wenig zu erwarten wie ein zweiter Platz des FC Bayern München in der Bundesliga. Beides ist sehr bedauerlich.
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