Im Land der wenigen Nationaltrainer

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Es gibt ja so einige gruselige Statistiken über die deutsche Nationalmannschaft, die ausländische Experten mitunter kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Da wäre zum Beispiel die Tatsache, dass Deutschland in über 80 WM-Qualifikationsspielen gerade mal zwei Niederlagen einstecken musste, aber das ist ja unter Statistikliebhabern bereits ein alter Hut.

Weiteres Kopfschütteln gibt es bei Journalisten aus den Ländern der gegnerischen Mannschaft häufig, wenn man die Liste aller bisherigen Nationaltrainer der „Mannschaft“ durchgeht. Da finden sich nämlich nicht mehr als elf mickrige Namen auf dem Zettel. Wobei man dann durchaus geneigt zu denken ist: „Elf? Seit wann, 1980, oder wie?“

Aber nein. Es sind tatsächlich nur elf Nationaltrainer, welche die Geschicke der deutschen Nationalmannschaft lenkten, seit Otto Nerz, seines Zeichens noch „Reichstrainer“, der im Oktober 1926 sein Amt antrat. Der hielt sich bereits stattliche zehn Jahre auf dem Posten, bis dann Weiland Sepp Herberger, mit kriegsbedingter Unterbrechung, ganze 28 (!) Jahre das Amt des Reichs- und späteren Bundestrainers bekleidete, befeuert natürlich vom Ruhm des „Wunders von Bern“ 1954, das ihn quasi unkündbar machte.

Natürlich war nicht jeder Bundestrainer derartig stand- bzw. sitzfest, aber auch sein Nachfolger Helmut Schön, der ihn bereits lange Jahre als Co-Trainer begleitet hatte, brachte es prompt auf die ebenfalls stolze Summe von 14 Jahren, in denen er – nebenbei erwähnt – einen Weltmeisterschaftstitel, einen Europameisterschaftstitel sowie noch jeweils einen Vize-WM bzw. EM-Titel erringen konnte (…ein gewisser Antonin Panenka vermieste ihm den möglichen zweiten EM-Titel).

Kürzester Amtsträger war – wenig überraschend – Erich Ribbeck, der das Amt in einer der armseligsten und freudlosesten Phasen des deutschen Fußballs betreute, von 1998 bis zum EM-Vorrunden-Aus 2000. Erfolgreichere Trainer wie Vogts (acht Jahre), Beckenbauer (sechs Jahre) oder ganz aktuell Joachim Löw (bislang neun Jahre) bilden da dann wohl den gesunden Durchschnitt.

Was im Vergleich mit den anderen „großen“ Teams des Weltfußballs auffällt – hier mal eingeschränkt auf jene acht Teams, die mindestens einmal den Weltmeister-Titel erringen konnten – ist die offensichtlich enorme Beständigkeit, die der Deutsche Fußball Bund bei der Besetzung seines Nationaltrainer-Postens aufweist.

Wer nun behauptet, dies läge vermutlich an den regelmäßigen Erfolgen des Teams, die eine Entlassung des jeweiligen Trainers schlichtweg nicht notwendig gemacht hätten, argumentiert wohl etwas zu kurzsichtig. Sicherlich, mit acht Endspiel-Teilnahmen der Deutschen bei Weltmeisterschaften und fünf bei Europameisterschaften ist dieser Gedanke naheliegend. Aber einmal zum Vergleich: das noch etwas erfolgreichere Brasilien (fünf WM-Titel, acht Titelgewinne bei der Copa América) hat trotz seiner beeindruckenden Erfolge über sechzig Trainer verschlissen, so viele wie keine andere Mannschaft in dieser Aufzählung. Zugegebenermaßen aber gab es bereits seit Mitte des ersten Weltkriegs den Posten eines Nationaltrainers, zehn Jahre vor der Ernennung von Otto Nerz zum Reichstrainer. Die Zahl ist dennoch um ein Vielfaches höher.

Da liegt dann doch die Vermutung nahe, dass die nicht unerhebliche Zahl der Trainer wohl doch dem heißblütigen Temperament südamerikanischer Verbandsfunktionäre geschuldet ist, was auch die Zahlen Argentiniens (38 Trainer) und Uruguays (35 Trainer) unterstreichen.

Auf europäischer Seite zeigten sich hier besonders die Spanier als offensichtlich am wenigsten bereit, dem Nationaltrainer eine gewisse Zeitspanne zur Entwicklung seiner konzeptionellen und spielerischen Ideen einzuräumen. Auf stolze 50 Trainer kommen die Iberer in dieser Statistik (Silbermedaille!), das ist deutlich mehr als beispielsweise die Engländer oder – man höre und staune – die Italiener vorzuweisen haben. Die bringen es auf für italienische Verhältnisse geradezu lächerliche 27 Nationaltrainer. Die wohl verblüffendste Zahl in dieser Statistik.

trainer

Grafik: Anzahl der Nationaltrainer seit Gründung einer Nationalmannschaft (Stand: November 2015)

Was sagt uns das ganze also? Gar nicht so sonderlich viel vermutlich. Außer dass man in Deutschland offenbar konfliktscheu ist und nicht so gerne Trainer auswechselt. Jedenfalls sagt es nicht außerordentlich viel darüber aus, ob der Erfolg eines Teams an der Anzahl von Trainerwechseln abzulesen ist. Deutschland, mit vier Weltmeister- und drei Europameistertiteln, hatte in Summe gerade einmal sechs Nationaltrainer weniger als England, die außer dem WM-Titel 1966 keine weitere Blumenvase gewinnen konnten. Im Gegenteil, die Weltmeisterschaften 1974, ’78 und ’94 verpassten die Briten gar vollends. Dennoch offenbar kein Grund, gleich die Contenance zu verlieren.

Wer hier nun argumentiert, dass England ja erst seit 1946 mit einem eigenständigen Nationaltrainer antrete und das die Statistik verfälsche, der lasse sich – noch einmal langsam durchlesen bitte – folgendes auf der Zunge zergehen: verpasste WM-Endrunden 1974, ’78, ’94. Das hätte in Brasilien wohl zur kompletten Zerstörung des Maracana in Rio de Janeiro geführt. Und zur Steinigung des verantwortlichen Teamcoaches.

Aber die Briten sind ja eh etwas anders. Linksverkehr, komisches Essen, Aversionen gegen Elfmeterschießen. Sie machen es eben gern etwas anders als der Rest der Welt. Recht so. Wer will schon durch ein Elfmeterschießen gewinnen, wie unkultiviert… Und der Trainer muss dann bitteschön auch nicht gleich immer dran glauben. Erstmal abwarten und Tee trinken. Mit Milch.

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