Über die Engländer und ihr schwieriges Verhältnis zur Fußball-Weltmeisterschaft: Versuch eines Psychogramms
von Björn Leffler
England, Mutterland des Fußballs. Sagt man so, obwohl ja auch die Chinesen ihre Ansprüche anmelden, da dort wohl schon mindestens 5.000 Jahre früher die Schweineblase mit Füßen durch zwei Holzpflöcke getreten worden sein soll.
Aber wir wollen uns nicht mit Spitzfindigkeiten aufhalten. Die Briten jedenfalls sehen sich unumstößlich als natürliche Wiege des modernen Soccer, und so fand auch das erste offizielle Länderspiel der Welt auf angelsächsischem Boden statt, am 18.11.1872, England gegen Schottland. Endergebnis 0:0. „Typisch!“ würde es jetzt vermutlich dem ein oder anderen U.S.-Sportfan entfahren. Aber wir lassen uns von derlei unqualifizierten Äußerungen mal gar nicht aus der britischen Teeruhe bringen.
Trotz der unumstrittenen Rolle als Triebfeder zur Verbreitung der Sportart Fußball rund um den Globus ist das Verhältnis der Engländer zum vierjährlich ausgetragenen Weltchampionat der Herren stets ein schwieriges geblieben. An den ersten drei Turnieren hatten die Briten gar nicht erst teilgenommen, da sie es als absolut überflüssig ansahen, sich mit anderen Nationen im Wettstreit um den Titel „Beste Mannschaft der Welt“ das Trikot schmutzig zu machen.
Für die Engländer war klar: wir sind das beste Team der Welt, zu Hause ewig ungeschlagen, Kick and Ruhs über alles, pipapo und überhaupt. 1950 dann entschied man sich aber doch dafür, erstmalig an einer WM-Endrunde teilzunehmen und dem Rest des Erdballs mal zu zeigen, wo der englische Hammer hängt und vor allem, wie hart er zukloppen kann. Resultat: die Engländer verloren gegen die U.S.A. (ja, die U.S.A.) mit 0:1 und schieden letztlich sang- und klanglos aus.
Als das Ergebnis dieses Spiels in die Heimat telegrafiert wurde, wollte es dort nur niemand glauben. Es wurde als unmöglich angesehen, dass England ein Fußballspiel gegen die U.S.A. verlieren könnte. Gegen die Yankees! War aber leider so.
66 Jahre später muss man konstatieren, dass ein WM-Endrundenspiel England gegen die U.S.A. eine ziemlich offene Angelegenheit wäre. Und diese bittere Einsicht ist mittlerweile auch in England gereift.
Aber wie kam das alles? So schlimm werden sich die Jungs doch nicht geschlagen haben im Verlauf der letzten 64 Turnierjahre, oder? Wir werfen einen genaueren Blick auf die englische WM-Geschichte und küren die zehn besten Turniere. Film bzw. GIF ab!
1 – 1966: Ganz klar, der verdiente WM-Titel, und dann im Finale auch noch gegen den verhassten Weltkriegsrivalen Deutschland. Zwar werden die Teutonen erst in der Verlängerung niedergerungen, aber das dritte Tor hat sie denen dann endlich das Genick gebrochen. Herrlicher Treffer von Geoff Hurst, die 90.000 in Wembley wie im Rausch. Chapeaux, England ist endlich Weltmeister! So kann‘s weitergehen!
Die Deutschen nehmen das sogenannte „Wembley-Tor“ absolut sportlich. Drin ist drin, was willste machen!
2 – Schwupps, und schon sind wir im Jahre 1990, als die Engländer ihr zweiterfolgreichstes Turnier spielen. Richtig, denn ein weiterer Titel kommt für das Mutterland des Fußballs nicht mehr dazu. Dafür dürfen die Engländer zusehen, wie Halbfinalgegner Deutschland, denen sie erst im Elfmeterschießen unterliegen, den goldenen Cup einheimst, schon zum dritten Mal im Übrigen. Beim gemeinsamen Bierchen wird den Deutschen der Triumph ganz klar gegönnt und nochmal auf den außerordentlichen Teamgeist angestoßen.
3 – 1970: Auch ne super WM, in der Bullenhitze von Mexiko, und die englische Truppe immer noch mit Weltstars gespickt, allen voran Bobby „The Champ“ Charlton. Im Viertelfinale warten die Deutschen, aber die haben ihre Abreibung ja schon vier Jahre zuvor bekommen. Der locker rausgespielte 2:0-Vorsprung sollte ja reichen… Fuck, reicht doch nicht! Seelers Hinterplatte und das dicke, hässliche Müllerchen kegeln die Briten in der Verlängerung aus dem Turnier.
Im Anschluss ist in der englischen Kabine nicht eben Karnevalsstimmung. Für diese Truppe wäre wirklich mehr drin gewesen!
4 – 1986: Spielerisch gehört die englische Nationalelf um Stürmerstar Gary Lineker jetzt nicht zu den Glanzlichtern der WM, aber das ist völlig wurscht. Dass man auch mit brachialem Haubitzenfußball bis ins Finale kommen kann, beweist das deutsche Team.
England scheidet im Viertelfinale im Duell mit Falkland-Erzrivale Argentinien aus, nachdem Maradona das 1:0 per Volleyball-Abnahme einnetzt. Anschließend spricht er davon, dass „die Hand Gottes“ das Tor erzielt habe.
Eine Formulierung, die auch die englischen Fans dann absolut beschwichtigt.
5 – 2002: Große Ambitionen für die Truppe um David Beckham, Michael Owen und Steven Gerrard: das talentierteste englische Team seit Langem will den Titel. In der Quali haben sie die Germanen mit 5:1 weggebraten, und das auf deutschem Boden, heureka! Und auch in Japan/Korea läuft es zunächst spitze, da das Team nicht nur top besetzt, sondern auch stimmungsmäßig homogen unterwegs ist.
Nur eine Position ist mal wieder etwas wackelig, in guter alter englischer Tradition: die Torhüterposition. Beim Viertelfinale gegen den späteren Weltmeister Brasilien kassiert David Seaman ein vermeidbares Tor und wirkt dabei, wie so oft, nicht so ganz fangsicher.
England muss leider wieder nach Hause fahren. Im Finale trifft Brasilien auf – ist es denn zu fassen – die Ramelow-Jeremies-Deutschen. Ja, es ist zu fassen, wenn auch nur schwer.
6 – 2006, jetzt aber! Ausgerechnet im Feindesland, bei der WM in Good old Germany, soll der Bock umgestoßen werden. Die Leistungen eher dürftig, aber das Team um Lampard, Beckham und Crouch rasselt durch bis ins Viertelfinale. Elfmeterschießen gegen Portugal, da war doch was. Zwei Jahre zuvor, bei der EM waren sie den Portugiesen im Elfmeterschießen noch bitter unterlegen, als Beckham bei seinem Versuch die Flutlichter am Stadiondach kaputt geschossen hatte.
Dann also ran an die Frikadellen und das Trauma endlich mal aus der Welt geschafft! Shit… ist gar nicht so einfach mit diesen Traumata, und mit aus der Welt schaffen auch nicht. Englands Fans weinen im Anschluss ans Elfmeterschießen… wieder einmal!
7 – 1998, Beckham ist da! Englands neuer Stern am Fußball-Himmel schießt starke Briten sicher durch die Vorrunde. Im Achtelfinale wartet – mal wieder – ein Erzfeind. Dieses Mal sind’s wieder die Argentinier. Und es geht – natürlich – ins Elfmeterschießen. In der englischen Kurve zittert Mick Jagger mit, kann das Aus aber auch nicht verhindern… I can’t get no satisfaction! Muss erwähnt warden, dass David Seaman im Tor steht? Leider ja.
8 – 2010, Südafrika: Endlich mal ein Trauma überwinden, im Duell mit den U.S.A. Die Schmach von 1950 tilgen und die Jungs aus Übersee aus dem Stadion knattern. Geht auch gut los, England führt 1:0, aber dann geht es schon wieder los: Torhüter … lässt einen rückpassverdächtigen Schuss durch die Finger gleiten, 1:1. Wieder nix mit Fußball-Großmacht. Zum Glück nur ein Vorrundenspiel, sonst hätte schon wieder das Elfmeterschießen gedroht.
Dann aber im Achtelfinale! Endlich wieder ein Erzfeind, die Deutschen mal wieder. England ist bereit, sie zu vernichten. Aber sie haben alle gegen sich, auch die Fußballgötter, die sich bitter für das Wembley-Tor von anno dazumal rächen. …‘s Schuss ist gefühlte zwei Meter hinter der Linie des deutschen Tores, aber der Schiedsrichter sieht es nicht, will es nicht sehen. Und dann machen die Fritzen auch noch vier Stück und die gesamte englische Abwehr lächerlich. Man weiß nicht, ob man weinen oder wüten soll…
9 – WM 1994, U.S.A.: Endlich die Chance, den Amis mal so richtig eine mitzugeben, und zwar zu Hause, auf amerikanischem Boden! Das wird ein Gemetzel vom feinsten, lasst uns…. Ach shit, England ist gar nicht dabei! Nicht qualifiziert!?
Die Engländer trösten sich damit, dass Irland dabei ist. Immerhin. Sind ja auch irgendwie Briten…
10 – 1974, WM in Deutschland: Endlich die Chance, sich bei den Krauts für die bittere Schmach von Mexiko zu revanchieren! Und Seeler, der Hunnenkönig, ist auch nicht mehr dabei, die Deutschen sind ganz klar schlagbar. Ab auf die Rösser und einreiten da! Der Titel kann nur Engl… Was? Schon wieder nicht qualifiziert? What the fuck? Na gut, dann aber bitte vier Jahre später die Argentinier auf eigenem Boden schl… Was? Auch nicht qualifiziert?
Was habt Ihr in England da eigentlich gemacht, in den Siebzigern? God damned!
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