Traditionsvereine und Retortenclubs begegnen sich in der laufenden Saison bislang auf Augenhöhe – und zwar im oberen Tabellendrittel. Das hat nicht unbedingt jeder so erwartet. Nur eine Momentaufnahme, oder ein dauerhaftes Duell?
von Björn Leffler
Die Schreckensszenarien, die viele vor der Saison befürchtet hatten, scheinen sich nach Ablauf des 7. Spieltags bestätigt zu haben: Red Bull Leipzig liegt auf einem formidablen dritten Tabellenplatz, die TSG aus Hoffenheim schmückt sich mit Europa-League-Platz 6. Neben Dortmund und Bayern sind es also die Retortenvereine, die um die Fleischtöpfe der Bundesliga mitspielen können.
Das stimmt einerseits – und auch wiederum nicht. Denn in die illustre Runde des oberen Tabellendrittels mischen sich auch jene Vereine, die die Traditionsliebhaber und Nostalgiker der Bundesliga dort oben sehr gern sehen. Der 1. FC Köln steht nach starken Auftritten auf einem sensationellen zweiten Platz, Hertha BSC spielte sich auf Platz vier und steht damit nur drei Punkte hinter Tabellenführer Bayern München. Eintracht Frankfurt, aktuell auf einem ebenfalls guten 8. Platz, kann mit aktuell elf Punkten aufwarten. Die Renaissance der Traditionsvereine, die sich zumindest nach den ersten sieben Spieltagen abzeichnet, ist ein angenehmes Gegengewicht zu dem, was der Bundesliga vor Anpfiff des ersten Spieltags drohte: Langeweile an der Tabellenspitze beim erwartbaren Duell zwischen Borussia Dortmund und Bayern München, welches die Münchner überlegen von der Tabellenspitze dominieren würden. Dahinter das große Muskelgeprotze der „Plastikvereine“, von Wolfsburg über Leverkusen nach Leipzig und Hoffenheim.
Nach sieben Spieltagen beißen sich die Bayern überraschend häufig die Zähne an Gegnern aus, die sie überhaupt nicht auf ihrem vereinsinternen Radar gehabt haben. Und in gleichem Maße beißt man sich in Dortmund in den Allerwertesten, dass man diese Fehltritte nicht selbst ausnutzen konnte und derzeit nur auf Rang fünf rangiert, hinter Leipzig, Köln und Hertha. Der VfL Wolfsburg hingegen hat aufgrund anhaltender Erfolgslosigkeit soeben seinen Trainer Dieter Hecking beurlaubt, und Bayer Leverkusen ist mehr schlecht als recht in die Saison gestartet und reiht sich erstmal im Mittelfeld ein. Dort befindet man sich nach der überraschenden Pleite am Samstagabend in Bremen gerade in der Phase der Selbstfindung.
In der Bundesliga spielt sich aktuell also eine Entwicklung ab, die in eine spannende und schwer zu prognostizierende Saison münden könnte. Die taktische Überlegenheit der Bayern, die in den vergangenen vier Jahren erdrückend war, scheint vorerst weg oder nicht mehr ganz so präsent zu sein, was viele Teams – wie zuletzt Eintracht Frankfurt, denen sogar in Unterzahl noch der Ausgleich gelang – ermutigt, gegen die Bayern forscher und energischer aufzutreten. Gleichzeitig ist vor allem bei den Vereinen in Berlin und Köln in den vergangenen zwei Jahren solide und unaufgeregt gearbeitet worden, ohne die Mannschaften spektakulär zu verstärken, den Kern des Teams aber beieinander zu halten. Wozu dies führen kann, hat man in den ersten Spielen gesehen. Ob daraus mehr werden kann, muss der weitere Verlauf der Saison erst einmal beweisen.
Am Samstag kommt es in Berlin also zum Duell „Vierter gegen Zweiter“, ein wahres Topspiel, welches es zwischen diesen Vereinen zuletzt in den siebziger Jahren gegeben hat. Nach all dem, was die klassischen Traditionsvereine in den letzten Jahren (berechtigterweise) an Häme und Kritik einstecken mussten, da sie kleineren Vereinen wie etwa Mainz 05 oder den aufkommenden Werks- und Retortenvereinen nichts oder nur wenig Konzeptionelles entgegensetzen konnten, könnte nun eine Rückkehr zumindest einiger großer Vereine der Vergangenheit anstehen. Sieben Spieltage sind sicherlich noch keine Basis, um eine fundierte Aussage zu treffen. Es ist aber eine schöne Momentaufnahme, die zeigt, dass es auch möglich ist, mit der Last einer großen, erfolgsdurchzogenen Tradition im Fußball der Moderne bestehen zu können. Das trifft natürlich nicht auf alle Traditionsvereine zu, wenn man nach Stuttgart, Hamburg oder Bremen schaut.
Der erfolgreichste aus dieser Riege ist zweifelsohne die Borussia aus Dortmund, die sich auch in diesem Jahr mittel- und langfristig wieder unter die Top 2 der Bundesliga-Tabelle schieben wird. Das aktuelle Verletzungspech konnte die Tuchel-Elf im Duell mit Hertha BSC nicht ganz kompensieren, aber dies ist mit Sicherheit nur ein vorübergehender Effekt. Und – wo wir schon bei Traditionsvereinen sind – die Borussia aus Mönchengladbach ist bereits seit Jahren zurück unter den Top 5 der Liga und gilt als eines der am schwersten zu bespielenden Teams der Liga. Auch hier hat eine erstaunliche, sehr positiv zu bewertende Konsolidierung und Entwicklung nach vorn stattgefunden, die den Verein bei Spielern zu einem der begehrtesten Ziele bei einem Vereinswechsel gemacht hat.
Es ist also nicht alles Plastik, was glänzt – zumindest noch nicht. Die Traditionsclubs haben in Teilen verstanden, dass sie von ihrer ruhmreichen Historie nicht ewig zehren können (schon gar nicht, wenn die Historie gar nicht so ruhmreich ist, wie etwa bei Hertha BSC). Sie haben sich daher viel von Trainings- und Scoutingkonzepten abgeschaut, mit denen Ralf Rangnick etwa in Hoffenheim oder Leipzig großen Erfolg hatte und hat. Und sie versuchen, wie aktuell Hertha BSC mit seiner neuen Vermarktungskampagne, sich vom trägen Muff der vergangenen Jahrzehnte zu lösen und sich als das zu begreifen, was sie sein müssen: fortschrittlich und innovativ denkende Sportvereine und Unternehmen. Auch wenn dies viele ihrer alteingesessenen Fans nicht allzu gern hören.
Nicht nur in Berlin kommt es am nächsten Wochenende zum Aufeinandertreffen von bestens platzierten Traditionsvereinen. Beim Spiel der Bayern – die man ehrlicherweise auch in die Riege der Traditionsvereine zählen muss – gegen Mönchengladbach geht es um die Verteidigung der Tabellenspitze. Die Gladbacher, aktuell auf Platz 9, sind aufgrund ihrer derzeitigen Form ein weiterer Aspirant auf einen Punkteklau beim Rekordmeister, auch wenn sie sich im Duell mit dem HSV mit dem Toreschießen unüblicherweise sehr schwer getan haben. Und im Hamburger Volksparkstadion (Obacht: ein Stadion ohne Sponsorenname!) wird am Freitagabend die von Niko Kovac auf Linie gebrachte Frankfurter Eintracht versuchen, gegen den HSV die starke Form zu bestätigen. Dieser hat sich mit Markus Gisdol nun selbst eines Konzepttrainers bedient, von denen in der Bundesliga einige sehr gute Arbeit und vor allem gute Resultate abliefern.
Tradition gegen Plastik – so könnte das Motto der Saison 2016/17 lauten, die Spiele sind eröffnet. Mal sehen, wer in den kommenden Monaten den längeren Atem hat, und wem dann wirklich Flügel wachsen – auch ohne Brause…
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