Der deutsche Supercup gehört nicht zu den bedeutungsschwangersten Pokalen des europäischen Fußballs und wird auch innerhalb Deutschlands nur mit geringem Wert versehen. Dies hängt zum einen mit der Terminierung und zum anderen mit der ewig gleichen Ansetzung zusammen. Die stete Präsenz der Bayern und des BVB im „Finale“ um den Supercup versinnbildlicht die gehobene Langeweile, die den deutschen Fußball ereilt hat. Da kann man von Glück reden, dass die Bayern es immer wieder schaffen, ihnen den Erfolg zu missgönnen…
Am Sonntag-Abend dürften sich viele leidenschaftliche TV-Enthusiasten gewundert haben. Wo ansonsten immer die Auswahl zwischen dem ARD-Tatort und der ZDF-Rosamunde Pilcher (oder einer alternativen Landschnulze) für das Abendprogramm bestand, musste für eingerostete Fernbedienungskontrolleure zwischen der Übertragung der Olympischen Spiele und der Übertragung des Deutschen Supercups im Fußball gewählt werden. Die öffentlich-rechtlichen Vorzeigesender waren voll und ganz auf Sport eingestellt und enttäuschten Krimiliebhaber und Liebesgeschichten-Cineasten gleichermaßen. Die sportaffinen Teile des Fernsehpublikums dürfte es jedenfalls gefreut haben, zwischen dem Großereignis Olympia in Rio und dem Aufeinandertreffen der beiden größten deutschen Fußballclubs zu wählen.
Der Supercup ist jedoch bei weitem nicht so super, wie er gerne medial aufgebauscht wird. Das Interesse an dem Spiel hält sich fast schon historisch in Grenzen, so dass der Wettbewerb zwischen Meister und Pokalsieger mitten in der Vorbereitung zur neuen Saison zwischenzeitlich auch schon aus dem Programm genommen wurde. Erst im Zuge einer wachsenden medialen Vermarktung wurde diese Partie wieder aus der Kiste geholt und der Staub abgepustet. Ein neu designter Pokal und eine richtige Siegerehrung mit Konfetti soll dem Wettbewerb einhergehend ein wenig Glanz verleihen. Eine eigens komponierte Hymne übertönte bis zum Anpfiff selbst das ansonsten so stimmungsvolle Westfalen-Stadion. Hier sollte Tragweite inszeniert werden, die offenbar unter den Anhängern nur kaum vorhanden war. Nun ist das größte Problem des Supercups aber, die Darbietung der Manifestation der Verhältnisse. Alljährlich kommen nun die Bayern zum Schaulaufen ihrer Dominanz daher und treffen dabei in schöner Regelmäßigkeit auf Borussia Dortmund. Inzwischen ist eine Sättigung unter der Anhängerschaft eingetreten, wenn von Bayern und Dortmund die Rede ist. Diese Sättigung wird lediglich durch den sportlichen Rahmen oder die guten alten Nebenkriegsschauplätze noch leicht verdrängt.
Im Fokus standen daher die schon Routine gewordene Rivalität zwischen den Bayern und den Dortmundern sowie die Geschichte der Rückkehr unterschiedlicher Vorzeichen von Mario Götze und Mats Hummels. Während Mario Götze nicht zum Einsatz kam, weil er noch nicht den Fitness-Stand haben dürfte, um in einem solchen Spiel zu helfen, spielte Mats Hummels von Beginn an und sah sich einem kleinen Pfeifkonzert einiger weniger ausgesetzt. Karl-Heinz Rummenigge – Medienprofi genug, um zu wissen was gehört werden möchte – echauffierte sich angesichts der Pfiffe so sehr, dass man glauben könnte, er wäre sich der Tragweite eines Wechsels eines ehemaligen Kapitäns des BVB zu den Bayern nicht bewusst. Es sei eine „Katastrophe“, wie mit Mats Hummels umgesprungen werde und fügte hinzu: „Undank ist der Welten Lohn. Da hat er acht Jahre seine Knochen hingehalten, und das ist der Dank.“ Dabei drängt sich jedoch schnell der Eindruck auf, dass sich da jemand als ehrwürdiger Vertreter einer gerechteren Welt darstellen möchte und die Relationen verdrängt – die Pfiffe waren erwartbare Unmutsäußerungen einer verschreckten Liebe, die angesichts der Leistungen Hummels für den BVB und seiner mutigen, ehrlichen und offenen Kommunikation nur geringfügig ausfielen. Dieser betonte nach dem Spiel auch entsprechend: „Mit den Pfiffen habe ich gerechnet. Ich kann das nachvollziehen“. Offensichtlich benötigt da einer keine Rückendeckung eines vermeintlichen Beschützers und zeigt Verständnis für Emotionen, selbst wenn er damit angegriffen wird.
Rummenigge derweil wird sich bestätigt fühlen als ewiger Branchenprimus, der nun einen weiteren Pokal ins Museum stellen darf. Eine Trophäe, die aber so eine geringe Bedeutung hat, dass nicht die Jubelbilder der Pokalübergabe die Runde machten, sondern die eines neuerlicher Ausrasters Franck Ribérys. Dieser hat mit seinem Ausschlagen gegen seinen Gegenspieler Felix Passlack seine Trilogie der Schande gegen den BVB vollendet und ist erneut so gut wie ohne Sanktionierung davon gekommen. Natürlich drängt sich da zumindest bei den Dortmundern der Eindruck auf, systematisch benachteiligt zu werden ob des fehlenden Durchgreifens gegen Bayern-Spieler.
Was für alle Mannschaften zutrifft, die gegen Bayern antreten, passiert beim BVB des Öfteren auf Endspiel-Ebene, so dass eine gewisse Sensibilität solchen Situationen gegenüber festzustellen ist. Tuchel, Castro, Schmelzer verwiesen zu Recht auf die kontinuierlich auftretenden (Fehl)Entscheidungen zugunsten Ribérys und der Bayern und monierten die Zeitverschwendung von den Schiedsrichtern in Schulungen auf Fehlverhalten hingewiesen zu werden, wenn es doch für die Bayern nicht in gleichem Maße gilt. Natürlich müssen die Schiedsrichter immer mit Fingerspitzengefühl in der jeweiligen Situation entscheiden und sind auch nicht vor Fehleinschätzungen gefeit, aber es drängt sich der Eindruck auf, dass Ribery derzeit den Status inne hat, den Oliver Kahn über Jahre pflegen durfte. Dieser durfte auf dem Platz ebenso alles machen, was er wollte, ohne das irgendein Schiedsrichter mal durchgegriffen hätte. Die legendären Aktionen gegen Brdaric, Chapuisat und Herrlich mal dahingestellt, so durfte er auch seinen Mitspieler Andreas Herzog herzhaft am Nacken packen und zurechtweisen, ohne bestraft zu werden, während Jens Lehmann im Februar 2003 für einen Rüffel an seinem Teamkollegen Marcio Amoroso vom Platz gestellt wurde. In ähnlicher Weise häuft sich nun das unterbliebene Eingreifen der Schiedsrichter gegen die Eskapaden von Franck Ribery.
Zwischen Bayern-Bonus und Bayern-Dusel befindet sich relativ viel Interpretationsspielraum. Es sind gängige Metaphern geworden, für die wahrgenommene Ungerechtigkeit, die vielen Mannschaften widerfährt, wenn sie gegen den Branchenprimus antreten. Die Schwalben Robbens, die harte Gangart Vidals, die Meckereien Thomas Müllers, die Ekligkeiten Rafinhas und die cholerischen Aktionen Riberys sind allesamt meist ungesühnte Aktivitäten, die die Bayern aber auch nur in der Bundesliga und im DFB-Pokal darbieten. Auf europäischer Ebene werden solche Unrühmlickeiten schneller mal sanktioniert aufgrund der nicht so weitreichend wirkenden Meriten. Im deutschen Fußball jedoch werden die Bayern unter Welpenschutz gestellt, da ansonsten zu befürchten steht, dass Uli Hoeness oder Karl-Heinz Rummenigge wieder öffentlich Schiedsrichter diskreditieren und für eigene Spielansetzungen nachhaltig ablehnen.
Unter diesen Gesichtspunkten warf der deutsche Supercup vergangenen Sonntag ein Schlaglicht auf die Verhältnisse im deutschen Fußball. Er fungierte als Spiegelbild der vergangenen Jahre, in denen aufmüpfige Kontrahenten erst von den Schiedsrichtern und dann von den eigenen dann demoralisierten Kräften im Stich gelassen werden, um dann der unentwegt hochgradigen Cleverness der Bayern zu erliegen. Diesbezüglich ist es wahrscheinlich kein Wunder, dass die Hälfte der Bundesliga ihre besten Spieler gleich zuhause lässt, wenn sich die Bayern ankündigen. Die Bayern derweil schmunzeln aufgrund der kollektiven Selbstaufgabe der Gegnerschaft und freuen sich ob des Schutzschildes der Schiedsrichter, was sie über Jahre so sehnsüchtig herbeigeredet haben. Die Folge: Zweikämpfe werden gegen die Bayern kaum noch geführt. Diejenigen, die sich auflehnen, werden verwarnt, bekommen unberechtigte Elfmeter gegen sich verhängt und eigene Tore aberkannt. Ein Ende der Verhältnisse ist nicht unbedingt absehbar, wodurch sich der Eindruck aufdrängt, der deutsche Fußball stehe noch mitten im Anfangsstadium trauriger Zeiten. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt…
Axel Diehlmann
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