Rasenballsport Leipzig mischt die Bundesliga auf. Unabhängig seines sportlichen Höhenflugs setzt der Verein nachhaltige Impulse für den deutschen Fußball, da die Konkurrenz ob der misslichen Wettbewerbsfähigkeit immaterielle Faktoren der deutschen Fußballkultur betonen muss, um den sportlichen Relevanzverlust zu überspielen. Reminiszenzen an die glorreiche Vergangenheit machen die Runde…
Das Westfalenstadion war prall gefüllt mit Fußball-Atmosphäre. Die gelbe Wand markierte mit einem kessen Spruch ihren fußballpolitischen Geist und akzentuierte damit die zunehmende Diskrepanz zwischen Tradition und Moderne im deutschen Fußball, die eine ganze Sportkultur aushöhlt. „Für den Volkssport Fußball – und gegen die, die ihn zerstören!“ Ein Banner, dass als Titelfolie fungierte für den ein anderen aggressiveren Spruch auf den Transparenten dahinter, die die Südtribüne zu einem großen verbalen Rundumschlag gegen die Mechanismen und Repräsentanten des modernen Fußballs nutzten.
Die demonstrative Abneigung der Fans des BVB gegen RB Leipzig war im Vorfeld schon zu erwarten. Immerhin ging es darum zu akzentuieren, dass der eigene Verein mit seiner Tradition, seinen Meriten und seinen Werten diametral dem Projekt Rasenballsport Leipzig entgegensteht. Auch die Vereinsvertreter ließen auf Nachfrage in den letzten Wochen keine Gelegenheit aus, um ihre Probleme mit den Jüngern von Mateschitz zu betonen. Die demonstrative Aussage: Wir sind die Guten. Wir schützen unsere Fußballkultur im verbalen Kleinkrieg gegen die unternehmerische Fußballwirtschaft. Dass hierbei – selbst als BVB-Fan – einem so manche Aussage zweifelhaft aufsteigt, liegt dabei in der Natur der Sache. Immerhin ließen auch die Dortmunder (spätestens seit dem Börsengang) in den letzten zwei Jahrzehnten keine Chance ungenutzt den wirtschaftlichen Erfolg als maximales Ziel anzustreben und die Marke Borussia Dortmund in die globalen Verwertungsketten zu integrieren. Dies gehörte in den letzten Jahrzehnten nun mal zum Geschäft. Immerhin schießt Geld ja doch irgendwie Tore, denn unzweifelhaft hat sich ein Pierre-Emerick-Aubameyang schon akzentuierter in die Geschichtsbücher des BVB eingetragen als es beispielsweise Delron Buckley jemals vermochte.
In diesem Kontext ist die unter BVB-Fans weit verbreitete Kritik am Slogan „Echte Liebe“ auch vollkommen nachvollziehbar. Natürlich lieben und leben die meisten der Dortmunder Anhänger ihren Verein und richten ihren Alltag nach den Spielen der Borussia aus. So ist es in Dortmund, in Berlin und auch in Köln. Die Marketingoffensive unter diesem Motto überhöht dies aber bewusst und verkommt wie das „Mia san mia“ der Bayern zu einer leeren widerspenstigen Worthülse, die bei jedem Aussprechen zum abfälligen Blick auffordert. Jedoch ist der Slogan nunmehr fest mit dem Verein verbunden und es entsteht eine Symbiose zwischen Auftritten des Vereins und Marketinginteressen. In dieser Hinsicht werden sich dann auf einmal wieder zwei Vereine sehr ähnlich, zwischen denen gestern abend ein Kulturkrieg inszeniert wurde.
„Rasenballsport“ Leipzig prangte ausdrücklich auf der betont schlicht gestalteten Videowand im Westfalenstadion. Kaum einem anderen Verein wurde jemals die Ehre zuteil, dass die Vereinsinitialien auf einer Anzeigetafel komplett ausgeschrieben wurden. Die Abkürzung RB wurde bewusst vermieden und einhergehend der Leipziger Vereinsname ironisierend vorgeführt. In relativ populistischer Weise lieferte die bewusst einfach gehaltene Darstellung des Spielergebnisses eine nostalgische Note, die für den Zuschauer im Stadion und vor dem Fernseher, die Dortmunder Borussia als Vertreter einer untergehenden Sportkultur aufzeigen soll. Diese schöne Randerscheinung, die im wahrsten Sinne ein Genuss für die Augen war, ist jedoch gleichsam ebenso nur eine temporäre Inszenierung. Schon nächste Woche wird die Videowand – wie in den letzten Wochen, Monaten und Jahren – wieder als schrilles Element der Vereinswerbung genutzt werden. An dieser Stelle hoffe ich inständig, dass ich mich irre, aber nach knapp einem Vierteljahrhundert BVB-Fan kenn ich meine Pappenheimer natürlich auch schon ein bißchen.
Natürlich ließen es sich die Leipziger auch nicht nehmen das als Kulturkrieg stigmatisierte Topspiel auf den Samstag Abend für eine eigene Inszenierung zu nutzen. Da stand der liebe Ralf Rangnick, dem die ARD-Sportschau letzte Woche noch zweifelhaft für das Topspiel Leipzig gegen Hoffenheim dankte, auf der Stehplatztribüne mitten zwischen den Fans von RB Leipzig. Ein demonstrativer Schulterschluss mit den „einfachen“ Leuten, die ihren Verein in der ganzen Republik unterstützen und als Gründer einer neuen Fankultur in Sachsen auftreten. Man kannte diese Bilder bisher immer nur von Ferdinand Tönnies, der im Dortmunder Westfalenstadion stets das Derby seiner Schalker im Auswärtsblock verfolgte und seine Malocher-Attitüde überzeichnet vor sich hertrug. Einen ähnlichen Plan mag Rlf Rangnick gestern abend verfolgt haben, als er sich bewusst von dem Watzkes und Kramers auf der Dortmunder Ehrentribüne fernhielt.
Die Rahmung des Fußballspiels war das Ergebnis einer gehobenen theatralischen Inszenierung. Man kann von Glück reden, dass das Spiel dieser Inszenierung auch gerecht wurde und mit Intensität und Dramatik so manch Anekdote bereithielt. Die emotionale Aufladung kulminierte dann ultimativ in der Nachspielzeit und es wäre kaum auszudenken gewesen, wenn solche eine Inszenierung mit einer doppelten Fehlentscheidung durch die Schiedsrichter geendet hätte. Eine leidliche Diskussion des verletzten Stolzes und der Bevorteilung der Neureichen wäre die Folge gewesen. Stattdessen endete die Partie mit einer glücklichen und doch souveränen Entscheidung des Schiedsrichterwesens, dessen Unparteilichkeit über der sportkulturellen Inszenierung liegt.
Für die Dortmunder Fans und Vereinsvertreter wurde es dementsprechend ein rundum gelungener Abend der individuellen Identitätsbestimmung. Die Feindbilder kehren – fernab verbaler Auswüchse – die eigenen positiven Werte hervor, die es zu verteidigen gilt. Anstatt diese zu Grabe zu tragen, wurden sie nun stolz auf einer Sänfte medial hergerichtet. In dem Sinne können Vereine wie RB Leipzig, die TSG Hoffenheim, der VfL Wolfsburg und der FC Ingolstadt sogar ein großartiger Gewinn für die Bundesliga sein. Wenn stetig Reminszenzen an die eigene Tradition betont werden, könnte dies wirklich nachhaltig zum Überleben der Fußballkultur beitragen.
Wie in der aktuellen politischen Lage, die durch die Manöver und Eskapaden von zwielichtigen Populisten bestimmt wird und entsprechende Reaktionen innerhalb der demokratischen Kultur hervorruft, wird durch das vereinspolitische Zerrbild eine kollektive Reflexion der aktuell bestimmenden Prozesse innerhalb der Fußballkultur ermöglicht. Es ist zu wünschen, dass die Betonung von Tradition nicht nur eine verkappte Marketingoffensive ist, die letztendlich eben die Feindbilder bestätigt, die sie demonstrativ bekämpft, sondern eine Bewusstbarmachung der Fundamente des Sports, der unabhängig von wirtschaftlichen Interessen gemeinschaftsbildendes und integrationsförderndes Kulturgut ist. Es sind Zeiten, in den Positionen bezogen werden. Nun geht es darum Haltung zu bewahren und den hohen Idealen gerecht zu werden. Schon am Mittwoch werden wir beim Spiel des BVB gegen die Hertha aus Berlin beobachten können, für wen die „traditionelle“ Inszenierung gedacht war. Fassade oder Struktur? Das ist hier die Frage…
Axel Diehlmann
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