Die Spielerei mit der Aufsicht

Avatar von Björn Leffler

Menschenansammlungen haben immer eine besondere Dynamik – insbesondere jene, die einer kollektiven Idee wie der des Fußballs folgen. Und dabei beginnt alles ganz individuell und harmlos.

 

Man steht morgens auf, putzt sich die Zähne, frühstückt seine Lieblings-Marmelade und macht sich dann auf zum Kleiderschrank, um die vereins-typischen Utensilien hervor zu kramen. Im Schrank finden sich die Insignien der fußballkulturellen Zugehörigkeit, die zum Spieltag freudig am eigenen mehr oder weniger robusten Leib präsentiert werden. Trikot, Schal, Jogger, Mütze – alles ran an den Körper – fortan ist man Teil einer Bewegung. Eventuell macht man auch noch mit bei der Sache mit den Fähnchen. So passiert es Wochenende für Wochenende vor bundesdeutschen Schränken und Kommoden, dass sich die alltägliche Individualität in einer temporären Kollektivität auflöst. Ein bisschen wie Schuluniform, Handwerkskluft oder Anzugpflicht bei drögen Verhandlungen nur andersherum, eben das Freizeitverhalten betreffend.

Auf dem Weg zum Stadion, der bevorzugt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bestritten wird, offenbart man seine Liebe zum Verein und erblickt mit breiter Brust weitere Jünger der Bewegung, die sich in ähnlicher Weise dem Tagesziel annähern. Von einem heiteren „hey“ bis zu einem stillen wissenden Zunicken ist in diesen Situationen alles dabei. Über die Offenbarung des gemeinsamen Interesses kommen sich fremde Menschen im Stadtraum näher – sei es auch nur emotional und für einige Stunden. Genau andersherum verhält es sich mit den Vertretern des tagesaktuell gegnerischen Vereins. Sogar innige Freundschaften und feste Familienbünde gehen über in provokante Sticheleien. Normalerweise seinen Freunden und Angehörigen gegenüber entsprechend positiv aufgelegt, gönnt man ihnen nun kaum noch ein Lächeln. Folglich werden wildfremde Menschen auf der Straße über die Eigendefinition für den gegnerischen Verein zur beliebten Zielscheibe herzlicher Pöbeleien. Jeder kennt die Sprüche, jeder kennt die Dimensionen und jeder klar denkende Fußballfan findet die Balance in der Provokation. Eine festliche Veranstaltung zynischer Sprüche, gewitzter Beleidigungen und der gemeinschaftlichen Gesangskunst. Halt ein bisschen wie sonntags in der Kirche oder bei einer gängigen Familienfeier.

Die heitere Stimmung wandelt sich eigentlich stets beim Erstkontakt mit den Aufsehern des Tages. Durch die Präsenz der Polizei als ordnende Kraft werden plötzlich die Sprüche aggressiver, die Gedanken aufmüpfiger, die Atmosphäre angespannter und die Lager endgültig getrennt. Wahnwitzig, dass eigentlich niemand etwas dafür kann, denn ab diesem Moment treten kulturelle Muster unserer schulischen Laufbahn auf den Plan. Im Polizisten sehen wir die reglementierende Lehrkraft. Wir sind uns den gewünschten Verhaltensnormen zwar bewusst und versuchen doch gleichzeitig die eigenen Grenzen auszuloten und bestehende Interessen durchzudrücken. Hierbei geht es vor allem um Machtspielchen. Wir gegen die anderen. Das ganze basiert auf einer respektvollen Distanziertheit. Der Lehrer steht als Vertreter eines Ministeriums vor der Klasse, entscheidet über Bienchen oder Tadel im Mutti-Heft, vergibt Noten fürs Leistung und Betragen und versucht dennoch sich mit allen gutzustellen. Der Polizeibeamte kanalisiert deine Wege, nimmt dich im Extremfall gerne mal in Sippen-Haft und droht mit dem Verweis vom Platze oder gar mit dem Eintrag ins Führungszeugnis.

Nicht schon genug, dass die hierarchische Position deprimierend vergleichbar, so gesellt sich dann auch noch die Dynamik einer Schulklasse hinzu. Eine Klasse von Individuen und grauen Mäusen ist angenehm zu kontrollieren – schwierig wird es ab dem Moment, ab dem sich die Klasse als kollektive Kraft wahrnimmt. Hinzu treten dann die Klassen-Clowns, die provozierenden Infragesteller und die aufwiegelbare Gruppe um pickelige Meinungsführer. Dabei geht es der Gruppe von nun an nur noch darum das Gefühl der Ermahnung zu erleben – die Erfahrung der Grenze, der Ausnahme von der Regel. Hierbei handelt es sich wohl eher um ein Art theatralische Inszenierung, bei dem sich die morgendlichen Individuen in eine neue Rolle begeben, die eher der Dynamik der Gruppe als eigenständigen Interessen entsprechen. Daraus entsteht im Extremfall der Kreislauf des Grauens: Provokationen und Beleidigungen, um den Moment zu erreichen, dass jemand den Fehler macht, sich zu einer übergriffigen Aktion hinzureißen. Die Frage nach dem „Wer hat angefangen“ schwebt wie ein Damoklesschwert über jeder polizeikontrollierten Massenveranstaltung – nur um sich danach als der gute Nachbarsjunge repräsentiert zu sehen. Immer noch die Sehnsucht nach den Bienchen im Mutti-Heft.

Wie geht man damit um? Bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen tritt die Ordnungsmacht natürlich verstärkt auf. Dies beruht auf gemachten Erfahrungen des Aufeinandertreffens problematischer Gruppierungen. Kritisch dabei ist jedoch die tendenzielle Kollektivierung der Verantwortung. Ironischerweise reagiert der liebe Aufseher nämlich lediglich auf die am Morgen auserkorene Kleidung der anwesenden Anhängerschaft. Dies widerspricht aber der Komplexität der Gruppe, die nur oberflächlich als geschlossene Gemeinschaft gleicher Interessen auftritt. Der Hauptteil der Fans fühlt sich durch eine solche Einordnung in seinen freudigen Spieltagsgefühlen belästigt, reagiert aber relativ gelassen. Das Vehikel ist der humoristische mit der Präsenz der Ordnungskraft: Die ironisierende Besprechung als kollektives Regulativ.

Letztendlich spielen alle ein wenig Theater im Stadtraum, vor und im Stadion. Eigentlich eine unaufgeregte Veranstaltung, die auf sehr viel positiver Energie basiert. Einige schlagen über die Stränge, weil sie in der potentiellen Zurechtweisung durch eine Ordnungskraft eine persönliche Beleidigung sehen, übersehen dabei aber die Folge von Aktion und Reaktion. Jener Narzismus entspricht auf der anderen Seite einer unangebrachten Arroganz. Die Folge ist mangelhafte Kommunikation und mangelndes Verständnis, so dass der Uniformierte uninformiert bleibt, um nur nicht zu empathisch zu werden. Eine alberne Situation, die wir ja eventuell perspektivisch überwinden können. Dementsprechend seid ihr lieben ordnungswilligen Polizisten dazu aufgerufen, nicht den leider stets auch präsenten tumben Gesellen die Ehre zu geben, ihren Interessen nachzueifern. Genauso gilt es für „die Fans“ die – auch wenn nur gespielte – respektvolle Distanz gegenüber den Uniformierten zu bewahren. Denn eigentlich will die Mehrheit der Anwesenden nur eine Ansammlung von grandiosen Momenten erleben – egal ob Schüler oder Lehrer, Ordnungskraft oder Fan. Also, gehts raus und trällert mal ein wenig im Sinne des Verständnisses. Die irische Anhängerschaft und die polnische Polizei machts vor:

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