Dieser Sonntag verspricht ein spannender zu werden. Die Bundesliga macht mit zwei Derbys ihre Aufwartung am entspanntesten aller Wochentage. Der Westen der Republik dürfte gleichwohl angesichts der heutigen Spielansetzungen elektrisiert aufgestanden sein. Schalke gegen Dortmund und Köln gegen Leverkusen sind brisante Spiele voller Tradition und Rivalität. Medial ist davon angesichts der Derby-Inflation wenig zu spüren.
Das Süd-Derby zwischen Stuttgart und den Bayern konnten die Münchner für sich entscheiden. Angesichts mangelnder städtischer und regionaler Konkurrenz müssen die Bayern schon nach Stuttgart fahren, um ein wenig Derby-Atmosphäre zu schnuppern. Eine mediale Konstruktion, die den Bayern letztendlich sowieso egal ist, da sie der Bundesliga eh schon enthoben sind und wenn überhaupt nur noch nach Dortmund blicken, wenn es um nationale Konkurrenz geht. Der Rest der Konzentration widmet sich Europa und einer aus Sicht der Bayern hoffentlich bald kommenden europäischen Superliga mit ganz vielen neuen europäischen Derbys.
Dabei liegt der Ursprung des Begriffs Derby in seiner heutigen Verwendung im lokalen Wettbewerb zwischen verschiedenen Stadtteilen, die sich rivalisierend gegenüber stehen und ihre Konflikten über die Fußballvereine symbolisch aushandeln lassen. Historisch gesehen bezieht sich der Begriff auf ein mittelalterliches Sportereignis, welches in der englischen Region Derbyshire ausgetragen wurde. Das Volksfußballspiel „Shrovetide“ findet seit dem 12. Jahrhundert alljährlich während der Karnevalszeit in Ashbourne statt, bei dem es darum geht den Ball zum gegen den gegnerischen Mühlstein zu kicken. Die beiden Mühlsteine sind dabei ungefähr drei Meilen voneinander entfernt. Die Anzahl der Spieler ist nicht begrenzt, die Regeln sind kurios bis amüsant:
Kein Durchqueren von Privatbesitz. Der Ball darf nicht auf Friedhöfen, Gräbern, Gedenkstätten gespielt werden. Unnötige Gewalt ist verpönt. Der Ball darf nicht in Taschen oder Rucksäcken versteckt werden oder mit motorisierten Fahrzeugen transportiert werden. Ein Tor wird nur dann als gültig betrachtet, wenn der Spielball drei Mal hintereinander einen der Mühlsteine/eine der beiden Steinpyramiden berührt. Wenn das Tor vor 17:00 fällt, wird ein neuer Ball ins Spiel gebracht. Das Spielen endet um 22 Uhr. Danach wird der Ball zurückgebracht.
Unbestreitbar ein nettes Ereignis, das wir hoffentlich baldigst besuchen werden. Offenbar war die symbolische Relevanz dieses Sportereignisses auch über die Region hinaus anschaulich wahrnehmbar, so dass auch in Nottingham im 19. Jahrhundert ein sozialer Konflikt sportlich ausgetragen werden sollte. So wurde 1866 zwischen Nottingham Forest und Notts County das frühest nachweisbare Derby des modernen Fußballs ausgetragen. Von diesem Moment an machte der Begriff Geschichte.
Im März 1891 kam es erstmals zu einem Derby, welches fortan als Inbegriff des Aufeinanderstreffens rivalisierender Stadtteile gelten sollte: Celtic Glasgow und die Glasgow Rangers trennten sich im Celtic Park 2:2. Der Austragungsmodus der schottischen Liga und die mangelnde nationale Konkurrenz führte dazu, dass dieses Spiel das meistgespielte Derby des europäischen Fußballs ist. Lediglich in den letzten Jahren mussten die Schotten auf ihr sagenumwobenes Spiel verzichten, da die Rangers im Jahr 2012 aufgrund ihrer enormen Schuldenlast zu einem Zwangsabstieg in die vierte Liga verdonnert wurden. Das Old Firm erfährt ab nächster Saison nach der seit letzter Woche feststehenden Rückkehr der Glasgow Rangers in die schottische erste Liga wieder seine Fortsetzung. Im Rahmen des „alten Beständigen“ (Old Firm) treten dann wieder die protestantisch geprägten Rangers gegen den durch irische Einwanderer katholisch geprägten Rivalen Celtic Glasgow an. Kulturkamof pur.
Doch nicht nur im britischen Sprach- und Sportraum machte der Begriff die Runde. Während in Spanien und Lateinamerika gerne vom „(Super-)Clásico“ gesprochen wird, wenn Real Madrid auf Barcelona oder die Boca Junios auf River Plate in Buenos Aires treffen, wird Derby in Deutschland als Synonym für lokale, sportliche Brisanz verwendet, wobei sich die lokale Komponente natürlich strecken lässt. Im Notfall bedient man sich kreativer Wortschöpfungen wie „Nord-Süd-Derby“, um das traditionsreiche Duell zwischen dem Hamburger SV und den Bayern einen gewissen Reiz zu verleihen. In diesem Sinn ist die allmähliche mediale Hinwendung zum Begriff Clásico begrüßenswert, da im Umkehrschluss der Begriff des Derby vor einer vollkommenen Verwässerung bewahrt wird.
Und dennoch bleibt die Problematik des inflationären Gebrauchs: Über die symbolische Aufladung spezifischer Spiele werden viele andere abgewertet. In diesem Kontext scheint auch verständlich, dass das Revier-Derby zwischen Schalke und Dortmund medial im Klopp-Sumpf untergeht. In Gelsenkirchen und Dortmund wird sicherlich darüber anders gedacht, aber für diejenigen, die ihre Verein hauptsächlich medial verfolgen, erscheint das Spiel der beiden Rivalen fast schon wie ein Halbzeitprogramm beim Super-Bowl. Schön anzuschauen, aber letztendlich irrelevant. Die mediale Unterrepräsentation hängt vor allem mit der Tabellensituation in der Bundesliga zusammen, in der für den BVB der zweite Platz manifestiert scheint und Schalke sich mit gewohnten Schwankungen zwischen Champions-League-Aspirant und grauem Mittelmaß bewegt. So richtig Ausstrahlungskraft weisen die Knappen in letzter Zeit nicht auf. Bieder trotz jugendlichem Esprit – schade drum.
Also rätseln viele in Dortmund schon über die passende Balance für ein lokalkulturell wichtiges Spiel im Vorfeld eines sportlichen wichtigeren Spiels am Donnerstag, welches emotional darüber hinaus auch noch mehr mitreißt als das Derby derzeit. Wieviel Ruhepause lässt sich der Mannschaft verordnen ohne das Derby abzuschenken und Hohn und Spott der Schalker zu sorgen? Gut, dass Tuchel in den letzten Monaten an einer schlagkräftigen Ersatzbank gewerkelt hat, die weitestgehend ohne Murren die Stammelf zaubern lässt, um dann ihre Einsatzminuten unentwegt effektiv zu nutzen. Falls Dortmund heute mit einer „Ersatzelf“ in der Turnhalle von Gelsenkirchen gewinnt, wäre der Unterschied zwischen den beiden Vereinen offenbar und die von Schalke herbeigesehnte Augenhöhe Makulatur. Falls Schalke heute das Spiel für sich entscheiden kann, ließe sich dies unter anderem auf das gemeinsame neue Erlebnis des Klopp-Derbys zurückführen, welches Substanz, Konzentration und Enthusiasmus bei Spielen, die einem lästigem Halbzeitprogramm ähneln, vermissen lassen. Über das Ruhrgebiet hinaus wird das Aufeinandertreffen von Herne-West und Lüdenscheid-Nord kaum für Gesprächsstoff sorgen. Jedoch: Auch wenn der große sportliche Reiz gerade fehlt, dieses Spiel ist unheimlich wichtig für alle Anhänger dieser Vereine, auch wenn es nur während der heutigen 90 Minuten zu spüren sein mag.
Fazit: Derbys sind das beständige Salz in der Suppe einer fader werdenden Bundesliga. Schalke gegen Dortmund, Bremen gegen Hamburg, Köln gegen Mönchengladbach, Hannover gegen Braunschweig und in Abstrichen Hertha gegen Union sind nur einige Beispiele, bei denen direkt Assoziationen, Legenden und Mythen geweckt werden. Wir werden sehen, welche Kapitel heute der Derby-Geschichte beigefügt werden. Nicht zuletzt deswegen: Einen schönen Sonntag euch.
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