Die größte Herausforderung beim Stadionbesuch ist es, unbesudelt wieder hinauszukommen. Es klingt einfacher, als es ist. Ein Erfahrungsbericht der schmierigen Sorte.
von Björn Leffler
Seit 21 Jahren nun gehe ich regelmäßig ins Olympiastadion, um der Berliner Hertha die Däumchen zu drücken (welch ein Anfang!). Und seit dieser Zeit bin ich auch ein leidenschaftlicher Anhänger der ganz klassischen, im Idealfall gut durchgerösteten Bratwurst, in Zeiten des modernen Fußballs gern auch mal sinnfrei als „Stadionwurst“ betitelt (was übrigens impliziert, dass jedes wurstähnliche Produkt, welches auf einem Stadiongelände verkauft wird, automatisch zur „Stadionwurst“ mutiert).
Das erinnert so ein wenig an die vor einigen Jahren vom TV-Sender „Sport1“ mutig beworbene „Stadionjacke“, die – man weiß gar nicht, warum – zum Verkaufsflop wurde. Aber gut, wir schweifen ab. Weder um Jacke und Wurst soll es hier im Einzelnen gehen, sondern um das, was sich der gemeine Fußballfan nach Erwerb seiner Wurst auf eben selbige tut. Da gibt es seit jeher die Puristen, welche das schlauchige Fleischprodukt ohne jedes weitere Würzmittel ganz pur verdrücken.
Dann gibt es die „Herben“, die ihre Wurst mit einem kräftigen Stoß Senf garnieren. Und dann gibt es die „Süßen“, die es eher zum kaminroten Ketchup zieht. Und es gibt die „Alles-oder-Nichts“-Fraktion, die auf das rostbraune Grillwürstchen Ketchup und Senf drücken müssen. Zu dieser Fraktion zähle ich mich im Übrigen. Stellt sich heraus, dass eines der beiden Produkte nicht mehr verfügbar ist, ist der Stadionbesuch für mich normalerweise fast gelaufen. Da kann nur ein zünftiges 7:0 der Blauweißen den Tag noch retten.
Der Erwerb der Wurst ist meist recht problemlos gelöst (es sei denn, man versucht, dies in der Halbzeitpause an einem Verkaufsstand im Berliner Olympiastadion zu realisieren, das könnte böse ins Auge gehen). Direkt danach aber geht es meist schon ans Eingemachte, nämlich an die Senf- und Ketchup-Spender. In jedem Stadion hat sich der Caterer ein anderes fieses Werkzeug überlegt, mit dem man sich garantiert die Kleidung vollmeiert. Als Gästefan hat man es da naturgemäß nicht einfach, da man die heimtückischen Eigenheiten der lokalen Senfspender meist noch nicht kennt. Es sei denn, man gehört zur Allesfahrer-Fraktion; diese Jungs haben da naturgemäß ab dem zweiten Besuch in einem Stadion schon etwas Übung drin.
In meinen 21 Jahren habe ich am Senfspender schon das ein oder andere schmierige Martyrium miterleben müssen. Dabei wurde ich selbstverständlich – das gebe ich hier ganz freimütig zu – selbst mehrfach Opfer spritzig-schmieriger Ketchup-Attacken, einfach aufgrund des dichten Gedränges am Senf-Zapfhahn oder aufgrund persönlicher Ungeschicktheit. Wenn beides zusammenkommt, wird es zum völligen Desaster.
Aber selbst wenn man es unfallfrei geschafft hat, mit erfolgreich garnierter Bratwurst vom Bratwurststand entkommen zu sein, bedeutet dies noch lange nicht, dass einen nicht auch später noch der „gelbe Tod“ (wahlweise auch der „rote Tod“) ereilen kann. Meist kommt einem irgendwo im Gedränge vor dem Herrenklo ein siebenjähriger Junge mit einer riesigen, in Ketchup ertränken Bratwurst entgegen, der an der Hand seines Vaters durch die Massen gezogen wird und die komplette, wartende Reihe von Männern mit einem hübschen roten Andenken verziert.
Aber, man darf das ganze wohl nicht zu eng sehen. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Und wenn sich 60.000 Menschen zum gemeinsamen Ballsportvergnügen zusammenfinden, ist es unvermeidlich, dass der ein oder andere Cola-Becher dem Vordermann in den Nacken gekippt oder die erst gestern erworbene Jacke mit einem großen, expressionistischen Senfmuster verschönert wird. Wichtig ist ja letztlich, dass das Lieblingsteam gewinnt. Es hängt dann meist auch vom Ausgang des Spiels ab, wie sehr man sich über die kulinarischen Kapriolen des Stadionbesuchs im Nachhinein noch ärgert.
Wichtig ist und bleibt wohl eben, was auf dem Platz passiert. Alles andere ist Kokolores. Auch die Stadionwurst. Nur schmecken tut sie halt verdammt gut. Daher gehen wir immer wieder diese wahnsinnigen Risiken ein. Wir Menschen sind schon ein merkwürdiges Völkchen… Ein merkwürdiges, Bratwurst essendes Völkchen!
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