Das Jahr der Exoten im Paradies

Avatar von Björn Leffler

autoren serie

Vierter Teil unserer Autoren-Serie zur anstehenden EM: Die EURO 2004 – das Jahr an dem die großen Nationen baden gegangen sind und der Aufstand der Zwergenstaaten und Exoten begann – und das beobachtet aus der Karibik von unserem Gastautor Peter Ulrich.

13396796_10154976281733289_1481144155_o
Gastautor Peter Ulrich vor Kolumbiens Küste

Das Jahr 2004 war für mich ein besonderes. Im ersten Jahr nach dem Abiturabschluss hatte ich viele Ideen und Berufs- bzw. Reisewünsche, die sich täglich und wöchentlich von einem Extrem ins andere änderten. Letztendlich habe ich mich für ein „anderes Jahr im Ausland“ in Kolumbien entschieden, eine Alternative zum deutschen Zivildienst oder zur Bundeswehr.  Und so kam es dann, dass ich das schneetobende Deutschland Mitte Januar nach Bogotá verlassen habe und drei Tage später an einem Pool in einer Finca im Hochland um Bogotá lag. Für einen damals 19-jährigen, der zuvor nur in Europa unterwegs war, etwas ganz besonderes.

Gleichzeitig war das Jahr 2004 fußballerisch gesehen ein Jahr der Exoten und der Aufstand der Zwerge. Während mein Spanisch besser wurde und ich einige Leute in Bogotá kennengelernt habe, habe ich meine feste Fussballguckrunde gehabt, in der ich so Sätze von mir gelassen habe wie „Auf Podolski müsst ihr aufpassen – der wird der neue Ruud van Nistelrooy“ und „Philipp Lahm wird mit dem VfB Stuttgart noch weit kommen“.

Bereits die Champions League haben wir gemeinsam verfolgt, als ein furioser Fernando Morientes seinen Ex-Club Real Madrid mit dem AS Monaco (!) aus dem Turnier feuerte und dort auf den FC Porto traf. FC Porto gegen AS Monaco – das wohl unerwarteste aller Champions-League-Finals brachte  mit dem FC Porto den ersten portugiesischen Champions-League-Sieger hervor. Zudem machte es Trainer-Exzentriker José Mourinho mit einem Male berühmt. Passend dazu war, dass die EM in diesem Jahr auch in Portugal stattfand. Und ich habe mir dabei Spiele in der Hängematte, im Café oder im Strandcafé angeschaut.

 

Das erste Spiel – das weiß ich noch genau – habe ich mit Freunden in einem Café in Bogotá geschaut und da lag ich allen noch mit Lukas Podolski in den Ohren, den ich damals noch als das größte Talent aller Zeiten (noch vor Sebastian Deisler) wahrgenommen habe. Zudem habe ich mit Spielern wie Schweinsteiger und Philipp Lahm angegeben, die das deutsche Team mit ihren 19 bis 20 Jahren auf ein neues Level heben würden. Das erste Spiel ist dann auch überraschend gut gelaufen, da man sich 1:1 von den Niederlanden trennte (die damals klar stärker waren als das DFB-Team) und einem schönen Tor von Thorsten Frings  –  ein direkter Freistoß als Flankenball ins lange Eck.

Mit diesem doch recht erwartungsfrohen Ergebnis ging es dann für mich von Bogotá in den Karibik-Urlaub in den Norden nach Barranquilla, Cartagena und Santa Marta. Und zum zweiten Spieltag habe ich dann Strand und Sand am hellichten Tag für Kneipe und Fußball eingetauscht, denn es war ein Schützenfest zu erwarten: der Gegner war der Fußball-Zwerg Lettland.

Allerdings kam es anders als erwartet. In einem der langweilgsten Spiele, an die ich mich erinnern kann, kam die deutsche Elf nicht über ein 0:0 hinaus. Da hätte man auch am Strand bleiben können! Das gleiche habe ich mir auch gedacht, als Deutschland im letzten Gruppenspiel gegen die B-Elf (!) der damals bärenstarken Tschechen nach Führungstor von Ballack-Schweinsteiger in Kombination noch verlor und ausschied.

Deutschland war also raus – genau wie vier Jahre zuvor mit Erich Ribbeck, diesmal glücklicherweise ohne Ribbeck, dafür mit Rudi Völler, der zwei Jahre zuvor noch im WM-Finale stand und trotz Podolski, Lahm und Schweinsteiger. Die Fußball-EM in Portugal war für mich in Kolumbien dann nur noch halb so interessant.

 

Ich weiß nicht mehr, wie viele Spiele ich mir in der K.O.-Runde des Turniers angeschaut habe, das einzige woran ich mich erinnern kann, war der unglaubliche Siegeszug der Griechen unter Otto Rehakles, das wohl als die größte Fußball-Sensation in die Fußballgeschichte eingehen wird. Vor der EM bei den Buchmachern zusammen mit Lettland der größte Außenseiter, bugsierte sich die Mannschaft mit den immergleichen Stilmittel durch die EM – mit Libero und einem Eckenkopfballtor von Angelos Charisteas! So ist der damalige Fußballgigant Frankreich, die goldene Generation von Tschechien und im Finale die Heimmannschaft mit dem jungen Cristiano Ronaldo und den Stars Rui Costa und Luis Figo dem Fußball-Exoten Griechenland mit je 0:1 unterlegen gewesen.

Es hätte ein portugiesisches Jahr werden können, allerdings wurde es eine griechische Sensation, von mir bewundert aus der kolumbianischen Hängematte.

Hier gelangt Ihr zu den ersten drei Teilen der Serie:

Teil 1: Bildausfall, Béla Réthy und Philip Lahm

Teil 2: 1996 – Als ich nicht jubeln durfte

Teil 3: EURO 2004 – Anekdoten eines Sommers

Avatar von Björn Leffler

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

More Articles & Posts