Berlins Rolle als einzig relevante Fußballstadt im ostdeutschen Bundesliga-Niemandsland führte und führt zur gefühlten Isolation von Hertha BSC im Kreis der übrigen, rein westdeutschen Bundesligisten. Das hat historische Gründe, muss aber keineswegs dauerhaft so bleiben! Wir wagen einen Blick zurück und nach vorn.
von Björn Leffler
Die Bundesliga-Geschichte Berlins ist eine schwierige. Diese Feststellung ließe sich in verschiedene Richtungen und Ebenen weiterverfolgen und durchargumentieren. Wir wollen uns hierbei aber einmal um die Rolle Berlins im Zusammenspiel mit den übrigen Mannschaften des Bundesliga-Tableaus beschäftigen.
Als die Bundesliga 1963 gegründet wurde, war Hertha BSC als Gründungsmitglied mit von der Partie, obwohl die Stadt Berlin, von Alliierten besetzt und in eine Ost- und eine West-Zone geteilt, vom Staatsgebiet der DDR umgeben war. Aber es war natürlich ein politisches Signal der westdeutschen Bundesliga, West-Berlin als Teil der damaligen BRD mit in den Kreis der neu gegründeten Profi-Liga aufzunehmen.
Hertha BSC spielte in den ersten Jahren eine gute Rolle, stellte einen noch heute gültigen Zuschauerrekord auf (88.075 Zuschauer kamen 1969 ins Olympiastadion und sahen ein 1:0 gegen den 1. FC Köln), verstrickte sich dann allerdings wie viele andere Vereine auch im Bundesliga-Skandal Anfang der 70er Jahre und musste einen Zwangsabstieg verkraften. Der Verein erholte sich davon relativ schnell und stellte nach dem raschen Wiederaufstieg in der zweiten Hälfte der 70er Jahre eine Mannschaft, die zu den erfolgreichen Teams des Jahrzehnts gehörte. Zweimal gelang der Einzug ins DFB-Pokalfinale, zweimal unterlagen die Blauweißen knapp. Eine Vize-Meisterschaft, drei dritte Plätze und zudem der Einzug ins Halbfinale des UEFA-Cups 1979, in dem man denkbar knapp an Roter Stern Belgrad scheiterte.
Man könnte meinen, Hertha BSC war ein etabliertes und selbstverständliches Mitglied der westdeutschen Bundesliga. Und das mag auch so gewesen sein, nur waren die Berliner aufgrund der politischen Weltenlage immer auch in gewisser Weise isoliert vom Rest, allein durch die schwierige und mitunter bedrohliche Insellage der „Frontstadt“. Durch die Teilung in Ost- und Westdeutschland etablierte sich derweil seit den 60er Jahren in der 1. Bundesliga eine westdeutsche Vereins- und Fußballkultur, die Rivalitäten im Norden, am Rhein, im Ruhrgebiet und im Süden zutage förderte. Rivalitäten, die von von Fans, Vereinen und Medien zum geliebten Streitthema gemacht wurden und die in den allermeisten Fällen bis heute Bestand haben.
Als Hertha BSC in den 80er Jahren in den Niederungen der 2. Liga und der Regionalliga verschwand und sich – mit wenigen Ausnahmen – erst 1997 wieder im Oberhaus etablieren konnte, verlor der Verein vorerst den Anschluss und war galt lange als nicht gesellschaftsfähige graue Maus im Berliner Westend. Der Verein verpasste es derzeit auch, die Euphorie der Wiedervereinigung zu nutzen, um neue Zuschauer für den Verein zu gewinnen, da der Verein 1989/90 zwar in die Bundesliga aufstieg, im Folgejahr aber chancenlos war und als Tabellenletzter den Klassenerhalt klar verpasste.
Als Hertha dann, in den ausgehenden 90er Jahren, endlich wieder Bundesliga-Fußball spielen durfte, war die Euphorie dann aber groß wie zuletzte in den 70er Jahrn. Die Situation in der Bundesliga hatte sich verändert, nun spielten auch Mannschaften aus dem ehemaligen Osten mit, allerdings ist schon die Bezeichnung Mannschaften nicht ganz zutreffend. In der Zeit, als Hertha der Aufstieg gelang, spielte mit Hansa Rostock genau eine Ost-Mannschaft in der 1. Bundesliga.
Hertha BSC erfand sich in dieser Zeit ein stück weit neu und gewann viele Fans aus dem Ostteil der Stadt und dem Umland dazu, denn endlich gab es Bundesliga-Fußball in der noch jungen Hauptstadt zu sehen, und die Ost-Berliner Vereine wie der 1. FC Union und BFC Dynamo waren in der fußballerischen Bedeutungslosigkeit verschwunden.
Regional gesehen war Hertha jedoch noch immer genauso isoliert wie vor dem Mauerfall, in der näheren Umgebung gab es tatsächlich nur die Stadt Rostock, in der ebenfalls Bundesliga-Fußball geboten wurde. Und so wurden die Spiele gegen Hansa von Beginn an zu einer Art Derby, welches von beiden Seiten jeweils intensiv geführt (auf dem Platz) und besungen wurde (auf den Rängen). Zum ersten Spiel gegen Rostock kamen 1998 nicht weniger als 71.000 Zuschauer, im Jahr darauf waren es gar 76.000, und auch in den folgenden Jahren war das Spiel eine der bestbesuchten Begegnungen der Saison (zum Auftaktspiel der Saison 1999/2000 kamen 65.000 Zuschauer und sahen ein 5:2 gegen Hansa). Zudem war das Duell eine enorm beliebte Auswärtsfahrt. Da Rostock in weniger als zwei Stunden erreichbar war, pilgerten nicht selten mehr als 5.000 Hertha-Fans an die Ostsee.
Das letzte dieser Duelle gab es 2008, ein 0:0 in Rostock, vor ausverkauftem Haus. Hansa stieg in dieser Saison letztlich ab, und Hertha war um einen attraktiven Nachbarverein ärmer. Einige Jahre zuvor jedoch, in der Saison 2000/01, schlug ein anderer Ost-Verein in der Bundesliga auf, Energie Cottbus. Naturgemäß wurde das Berlin-Brandenburger Derby, welches es – wie es auch mit Hansa Rostock der Fall war – aufgrund der deutschen Teilung zuvor nie gegeben hatte, zu einem spannenden Schlagabtausch der Fußballkulturen. In diesem Fall war Hertha der Goliath im ungleichen Vergleich mit dem Cottbuser David. Ein Spiel, welches polarisierte und stets von einem hohen Polizeiaufgebot begleitet wurde. Der FC Energie fügte dem großen Bruder aus Berlin in den 12 Bundesliga-Begegnungen die ein oder andere empfindliche Niederlage zu, unter anderem führte das 1:0 in Cottbus im Februar 2002 zur vorzeitigen Entlassung von Hertha Trainer-Legende Jürgen Röber.
Aber auch Hertha konnte wichtige Siege gegen die Lausitzer verbuchen. Der wohl markanteste war das 3:1 im Stadion der Freundschaft in der Saison 2008/09, als den Berlinern nach 0:1-Rückstand ein 3:1 gelang, nach zwei herrlichen Toren von Andrej Voronin. Nach diesem Spiel standen die Berliner mit vier Punkten Vorsprung auf dem ersten Tabellenplatz, während es für Energie Cottbus in Richtung 2. Liga ging.
Letztmals standen sich die Teams in der Zweitligasaison 2012/13 im Berliner Olympiastadion gegenüber, vor stolzen 63.000 Zuschauern. Der Weg dieser beiden Vereine trennte sich bekanntermaßen, Hertha stieg in diesem Jahr wieder in die Liga eins auf, Cottbus stieg wenig später in die dritte und kützlich in die Regionalliga ab.
In den zwei Zweitligajahren eröffnete sich dann plötzlich ein völlig neues, elektrisierendes Derby-Gefühl in der Stadt: Hertha BSC und der 1. FC Union spielten erstmals in einer gemeinsamen Liga und trafen daher endlich einmal auf Pflichtspielebene aufeinander. Es wurden vier Spiele, die mittlerweile legendären Charakter besitzen. Zweimal trafen die Teams im ausverkauften Olympiastadion aufeinander, zweimal in der überfüllten Alten Försterei, und jeweils gab es dramatische Höhe- und Tiefpunkte auf beiden Seiten. Und es gab eine begeisternde Atmosphäre während der Spiele und um sie herum.
Ein bedeutendes Berliner Stadtderby hatte es für Hertha BSC zuletzt in den 70er Jahren gegeben, als es Tennis Borussia gelang, für zwei Jahre in der Bundesliga mitzuspielen. Beide Partien im Olympiastadion waren ausverkauft, und die Spiele im Mommsenstadion wurden von jeweils 42.000 (!) Zuschauern besucht. Einmal gewann TeBe, dreimal ging Hertha BSC als Sieger vom Platz.
Für den 1. FC Union waren Stadtderbys hingegen keine Seltenheit, sonder die Regel. Die Spiele in der DDR-Oberliga gegen den noch heute verhassten Rivalen aus Hohenschönhausen, den BFC Dynamo, gehörten zu den heißesten und auch gewalttätigsten Derbys in der Geschichte des ostdeutschen Fußballs. Nach der Wiedervereinigung verlor sich auch dieses Derby, da beide Vereine nur noch selten in der gleichen (unterklassigen) Liga gegeneinander antreten durften.
Darüber hinaus gab es für die Fans des 1. FC Union in Zeiten der Oberliga eine Reihe weiterer Derbys, die sie häufig nach Dresden, Zwickau, Rostock oder aber (und insbesondere) nach Leipzig führten. Dass sich diese Spiele vor allem ab Ende der 70er Jahre zu unvorstellbaren Gewaltarien auf beiden Seiten entwickelten, soll hier nicht unerwähnt bleiben. Reizvolle und stimmungsvolle Spiele waren es aber allemal. Immerhin konnte der 1. FC Union in den Jahren seiner Zweitligazugehörigkeit wieder vermehrt spannende Duelle gegen alte Rivalen wie Erzgebirge Aue, Dynamo Dresden oder Energie Cottbus bestreiten. Und gegen einen ganz neuen Rivalen: Red Bull Leipzig.
Im Vergleich dazu steht der Bundesliga-Standort Berlin heute völlig allein gelassen da. Der Aufstieg des 1. FC Union in die ertse Liga würde der Stadt in dieser Hinsicht einen großen Schub geben, genauso wie eine Rückkehr von Hansa Rostock oder Energie Cottbus ins bundesdeutsche Oberhaus, was aktuell jedoch in sehr weiter Ferne liegt. Während auf der Westseite des Landes die etablierte Bundesliga-Gesellschaft regelmäßig ihre traditionsreichen Rhein-, Ruhrpott-, Nord- oder Baden-Württembergischen Derbys ausspielt (welche mitunter in Langeweile sterben), stehen für Fans von Hertha BSC und auch Union Berlin häufig die weitesten Anfahrten für Auswärtsspiele zubuche.
Hertha BSC ist bei den meisten Vereinen im Westen ein Verein, der wenig Emotionen weckt, einfach weil es kaum eine Verbindung zu diesem Verein gibt. Lediglich die Duelle mit dem Hamburger SV haben seit dem Wiederaufstieg der Berliner 1997 einen Charakter mit hohem Rivalitätspotenzial, weil die beiden größten deutschen Städte in einem ständigen Wettkampf miteinander stehen, was sich zuletzt bei der Bewerbung um Olympische Sommerspiele in Deutschland wieder gezeigt hat. Diese Rivalität hat in den vergangenen fast zwanzig Jahren einige großartige Partien hervorgebracht, bei denen die Hamburger mehr als einmal mit sechs Gegentreffern zurück an die Elbe geschickt wurden. Aber auch in Hamburg gab es für Hertha BSC die ein oder andere saftige Abreibung. Ein wirkliches Derby ist dies aber natürlich nicht.
Bei den übrigen Mannschaften der Liga gehört Hertha zwar zum etablierten Tableau, ist aber weder ein Hass-Verein noch ein Club, der außerhalb des Großraums Berlin-Brandenburg übermäßig geliebt wird. Obwohl nicht unterschlagen werden darf, dass zu jedem Heimspiel viele Leute aus dem gesamten ostdeutschen Raum anreisen. Dass Hertha BSC weit mehr als ein West-Berliner Verein ist, wird viel zu häufig übersehen.
Dass es Hertha BSC in der ersten Liga, und dem 1. FC Union in Liga Zwei, an Kontrahenten aus dem direkten Umfeld fehlt, trägt viel zur gefühlten Isolation der Stadt im Profifußball bei. Denn Nachbarschaftsduelle und Derbys sind nun mal das Salz in der Suppe einer Saison. Und wer die Spiele gegen Rostock, Cottbus oder Union live miterlebt hat – oder das Pokal-Duell von Hertha und Tennis Borussia 1998 – weiß, welche Emotionen und Energien solche Begegnungen in einer Stadt oder einer gesamten Region freisetzen können.
Daher wird es in Berlin eher begrüßt als abgelehnt, dass mit Red Bull Leipzig nun ein Verein in die Bundesliga aufgestiegen ist, der sich – zumindest gefühlt – in direkter Nähe befindet und sich zudem großartig als Hassobjekt einer Fanbasis eignet, die Wert darauf legt, dass Hertha BSC als Traditionsverein wahrgenommen wird. Immerhin feiert der Verein im kommenden Jahr seinen 125. Geburtstag. Die Nachfrage nach Karten für das Auswärtsspiel in Leipzig wird gewaltig sein. Und viele hier betonen, dass es für die Bundesliga, trotz des Retortencharakters des Leipziger Clubs, wichtig ist, dass die übermäßige Dominanz der westdeutschen Vereine, die sich als eigene, geschlossene Gesellschaft verstehen, endlich einmal aufgebrochen wird.
Denn in Fußball-Ostdeutschland wird die Bundesliga mitnichten als gesamtdeutsche Liga wahrgenommen. Und wer die Duelle der abgelaufenen Drittligasaison mitverfolgt hat (exemplarisch nennen wir hier mal die Begegnungen 1. FC Magdeburg vs Hansa Rostock oder Dynamos Dresden gegen Rot Weiß Erfurt), der weiß, dass diese Duelle in Sachen Atmosphäre einigen Bundesliga-Derbys zum Teil weit überlegen waren.
Für Berlin wäre es wünschenswert, dass sich mit dem 1. FC Union perspektivisch ein Verein in Richtung 1. Bundesliga aufmachen kann, um das eigentlich vorhandene Feuer, welches in der Stadt und der Region vor sich hin glimmt, endlich wieder richtig zu entfachen. Ein Berliner Stadtderby in der 1. Bundesliga, zudem mit Vereinen aus dem Ost- und Westteil der Stadt, wäre ein Happening, welches über die Stadtgrenze hinaus für Furore sorgen würde. Es wäre der Stadt zu gönnen, denn das Potenzial für mindestens zwei Erstligisten hat Berlin in jedem Fall.
Für den Fußball Ostdeutschlands bleibt zu hoffen, dass sich die positive Entwicklung von Vereinen wie Dynamo Dresden oder des 1. FC Magdeburg fortsetzt und sich in fünf oder zehn Jahren vielleicht drei oder vier Vereine aus den sogenannten „neuen Bundesländern“ in der ersten Liga etablieren können. Das wäre auch für die Fußballstadt Berlin ein wahrer Segen. Zur Erinnerung: Zur letzten Zweitliga-Begegnung zwischen Hertha BSC und Dynamo Dresden in Berlin pilgerten 15.000 Fans aus der Elbestadt nach Charlottenburg, und auch das Rückspiel in Dresden war restlos ausverkauft. Genauso viele Anhänger brachte im Übrigen der FC Erzgebirge Aue 2010 mit nach Berlin.
Die Basis für stimmungsvolle Derbys und Nachbarschaftsduelle und eine völlig neue – sehr stimmungsvolle – Fußballkultur im deutschen Fußballoberhaus ist also längst gegeben. Es bleibt nur zu hoffen, dass wir sie irgendwann auch in der Realität erleben können. Das würde der Bundesliga nämlich sehr gut tun. Auch wenn man das in den Chefetagen westdeutscher Vereine vielleicht nicht so gern hört.
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