Sportlich lassen Hertha BSC und Union Berlin aktuell aufhorchen. Auch darüber hinaus fallen beide Vereine derzeit mit großen Zukunftsvisionen auf. Das wäre vor ein paar Jahren nur schwer vorstellbar gewesen.
von Björn Leffler
Wer nach dem 12. Spieltag die so vielbesungene Momentaufnahme bemüht, kann in den oberen Regionen der 1. und 2. Bundesliga unschwer ein Berliner Stimmungshoch ausmachen. Nach dem hart erkämpften 2:1 der Hertha gegen Mainz 05 haben sich die Blauweißen auf einen starken dritten Platz geschoben. Die „Eisernen“ vom 1. FC Union platzieren sich durch ihren ebenso schwer errungenen 1:0-Auswärtssieg in Sandhausen auf einem hervorragenden fünften Platz, nur einen Punkt vom Relegationsplatz entfernt, also in direkter Schlagweite zu den Aufstiegsplätzen.
Die Fußballstadt Berlin macht im Profifußball derzeit Nägel mit Köpfen. Und das ist dann tatsächlich auch mehr als eine Momentaufnahme. Nicht nur die sportlichen Leistungen der beiden so unterschiedlichen Hauptstadtteams lassen aufhorchen. Herthas sechs Siege aus sechs Heimspielen sind geradezu sensationell, und beim 1. FC Union ist es Trainer Jens Keller gelungen, der Mannschaft die so lange vermisste Konstanz und vor allem spielerische Varianz zu vermitteln, die den Köpenickern im letzten Heimspiel gegen den VfB Stuttgart beinahe einen verdienten „Dreier“ verschafft hätte. Die Schwaben konnten nach dem Schlusspfiff froh sein, sich mit dem knappen Remis noch gut aus der Affäre gezogen zu haben.
Waren Unions Aufstiegsambitionen im Vorjahr von Medienvertretern und Mitkonkurrenten noch müde belächelt worden, werden die Kicker von der Wuhle mittlerweile sehr ernst genommen und als tatsächlicher Aufstiegsaspirant gehandelt. Hier hat sich eine deutliche Wahrnehmungsveränderung vollzogen: die Arbeit, die in und an der Alten Försterei geleistet wird, trifft auf bundesweite Respektsbekundungen, natürlich befeuert durch den leidenschaftlichen und beeindruckenden Auftritt des 1. FC Union im DFB-Pokal-Zweitrundenspiel bei Borussia Dortmund.
Kultverein aus Köpenick: 12.000 Union-Anhänger beeindrucken beim Auswärtsspiel in Dortmund
In gleichem Maße werden die bislang konstant positiven Leistungen der Hertha zur Kenntnis genommen. Der Verein, der sich seine starke Hinrunde in der vergangenen Saison durch eine deutlich schwächere Rückrunde noch selbst verhagelte und das Spieljahr „nur“ auf Platz 7 abschloss, bewegt sich nun im zweiten Jahr in Folge in sehr hohen Tabellenregionen – und das, nachdem die Mannschaft gegen Kontrahenten wie Dortmund, Schalke, Köln oder Mönchengladbach bestanden hat. Allesamt Gegner, die nicht unbedingt als Leichtgewichte der Liga zu bezeichnen sind.
Nicht nur in der Berliner Fachpresse wird immer häufiger die konstante und unaufgeregte Arbeit gelobt, die in beiden Vereinen seit mehreren Jahren geleistet wird. Vor wenigen Wochen outete sich selbst Ur-Bayer Waldemar Hartmann in der Sport1-Talkrunde „Doppelpass“ als regelmäßiger Besucher von Hertha-Heimspielen (Hartmann wohnt seit einem Jahr in Berlin). Über prominenten Besuch konnten sich auch die Köpenicker zuletzt freuen, beim Heimspiel gegen den VfB Stuttgart schaute Nationaltrainer Joachim Löw in der Alten Försterei vorbei.
Nachdem vor allem Michael Preetz und Werner Gegenbauer in den Jahren der Ab- und Aufstiege für ihr sportliches Konzept viel Hohn und Spott einstecken mussten, wird ihre Arbeit nunmehr sehr viel positiver bewertet. Hertha ist es, wie auch Union, in den meisten Fällen gelungen, Leistungsträger der vergangenen Jahre zu halten, auf hohe Transfererlöse wurde bewusst verzichtet. Beide Vereine können auf dem Transfermarkt aber noch immer keine großen Sprünge machen und ihre Teams nur punktuell verstärken. Der Erfolg muss daher über das spielerische und taktische Konzept kommen. In beiden Fällen ist es der sportlichen Leitung ganz offensichtlich gelungen, ein konkurrenzfähiges Konzept zu entwickeln, welches – im Vergleich mit den Liga-Größen im Ober- und Unterhaus – trotz bescheidener Mittel absolut konkurrenzfähig scheint.
Funktionierendes sportliches Konzept: Das Team von Hertha BSC mischt im zweiten Jahr in Folge ganz oben mit.
Hinzu kommen nun Pläne beider Vereine, sich für die Zukunft auch infrastrukturell neu aufzustellen. Mit anderen Worten: Union und Berlin basteln an einem neuen bzw. größeren Stadion. Während der 1. FC Union den Ausbau der Alten Försterei auf 35.000 Plätze plant, um für einen möglichen Aufstieg gerüstet zu sein und insgesamt wettbewerbsfähiger zu werden, denkt Hertha BSC laut über den Neubau eines eigenen Stadions nach und hat daher das Architektenbüro Gerkan, Mark & Partner mit einer Machbarkeitsstudie für einen Stadion-Neubau auf Berliner oder Brandenburger Gebiet beauftragt, deren Ergebnisse im Februar vorgestellt werden. Ironischerweise waren Gerkan, Mark & Partner von 2000-2004 für den Umbau des Berliner Olympiastadions verantwortlich. Wären vor wenigen Jahren beide Planspiele noch als „größenwahnsinnig“ abgetan worden, werden die Ausbaupläne beider Vereine in den Medien und von den Fans sehr intensiv und detailreich diskutiert. Es scheint alles sehr viel möglicher als in den Jahren zuvor.
Es hat also ganz offensichtlich ein Stimmungswandel in der Stadt über ihre Grenzen hinaus stattgefunden. Während man sich in beiden Vereinen in den vergangenen Jahren eher klein gemacht hat, um auf Seiten von Hertha BSC das Image der „Skandalnudel“ loszuwerden und in Köpenick das Image des alternativen Kiezclubs zu pflegen, hört man nun verstärkt andere Töne von den rotweißen respektive blauweißen Entscheidungsträgern. Union-Präsident Zingler spricht offen davon, mit Union mittelfristig den Aufstieg in die 1. Bundesliga anzupeilen, und Michael Preetz spricht zum ersten Mal seit langem nicht mehr davon, „Hertha in der Bundesliga etablieren“ zu wollen, sondern davon, sich „oben einzunisten“, wie er es auf der gestrigen Mitgliederversammlung getan hat.
In Berlin entsteht aktuell die Ahnung, dass die Stadt in wenigen Jahren möglicherweise über zwei – durchaus erfolgreiche – Erstligateams verfügen könnte, die plötzlich als sehr attraktives Gegenmodell zum sächsischen Marketing-Produkt Rasenballsport Leipzig dastehen. So sind aus den einstmals hässlichen Entlein plötzlich gar nicht so unattraktive Schwäne geworden. Eine Vorstellung, die lange Zeit völlig illusorisch schien – zwei Berliner Teams in der 1. Bundesliga – ist momentan zumindest etwas realistischer geworden. Es würde der vielfältigen Fußballstadt Berlin gut zu Gesicht stehen, über zwei Erstligaclubs mit so unterschiedlicher Ausrichtung und einer gesunden Rivalität zwischen beiden Fanlagern zu verfügen.
Aber, wie es so ist im Sport, Momentaufnahmen sind selten mehr als eben diese: nur eine Momentaufnahme. Schauen wir mal, ob wir die gleiche Diskussion auch noch führen, wenn weitere 12 Spieltage gespielt sind. Bis dahin behalten wir alle noch einen kühlen Kopf, was uns im anstehenden Berliner Winter wirklich kein Problem sein sollte…
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