Es gibt nicht viel zu gewinnen, aber dafür umso mehr zu verlieren. Die emotionale Spannweite streckt sich von ultimater Erleichterung von der Verlustangst bis zur verzweifelten Depression. Abstiegsendspiele lassen die Titelentscheidungen des europäischen Fußballs im Mai jeden Jahres als reine Luxusprobleme erscheinen.
Drei Gründungsmitglieder der Bundesliga stehen vor dem letzten Spieltag am Abgrund zur Zweitklassigkeit. Eintracht Frankfurt, Werder Bremen und der VfB Stuttgart stehen nach wankelmütigen Saisonverläufen nun vor der finalen Szenerie zwischen hoffen, bangen, kalkulieren und nochmal hoffen. In Bremen kommt es zum Abstiegsendspiel zwischen Werder und der Eintracht, welches nahezu Pokalcharakter besitzt. Der Gewinner dieses Spiels ist unwiderruflich gerettet, bei einem Remis dürfen sich die Frankfurter freuen, während die Bremer bangen Blickes auf die Anzeigetafel blicken werden, ob sie dann zumindest noch in die Relegation gegen den 1. FC Nürnberg dürfen oder durch ein wunderhaften Stuttgarter Kantersieg in Wolfsburg direkt ins Unterhaus gekickt werden. Frankfurt könnte gleichsam durch eine Niederlage in Bremen noch arg in Bedrängnis kommen, vor allem wenn die Bremer ihre Offensive des letzten Heimspiels gegen die Stuttgarter fortführen. Festzuhalten ist: dieses Finale hat alles was es braucht für zwei Stunden Dramaturgie pur: Traditionsvereine, direkte Konkurrenz und dennoch den notwendigen Einsatz des Rechenschiebers.
In schöner Regelmäßigkeit verdichtet sich die untere Tabellenhälfte der Bundesliga im Frühjahr. Vereine, die sich gerettet wähnten, strudeln plötzlich wieder in den Bereich des Abstiegs, während die vorzeitig Abgeschriebenen mit letzter Inbrunst ihre Minimalchance nutzen und um den Ligaverbleib bis zur letzten Sekunde kämpfen. So erleben wir jedes Jahr neue Konstellationen, die ein Abstiegsfinale besonderer Dramaturgie erzeugen, womit es insbesondere in der Bundesliga dem Titelkampf in emotionaler Hinsicht (ungewollt) den Rang abläuft. Aber auch die Europapokalfinals fühlen sich angesichts des Wechselbades der Gefühle im Kontext des Kampfes um den Klassenerhalt unsagbar langweilig an. Natürlich ist es schön, die Jubeltraube um einen Pokal auf ihrer Ehrenrunde zu beobachten. Interessanter, weil fundamentaler, ist aber die pure Leidenschaft, die nur jenseits der Komfortzone des Fußballs ins Rampenlicht rückt. Ein Abstiegsfinale sind eben gefühlte 90 Minuten Nachspielzeit.
Und so wird die Bundesliga auch morgen wieder tränengetränkte Spielflächen und Tribünen erleben. Die Kamerateams werden sich auf die am Boden liegenden Verzweifelten stürzen, um die Emotionen in die heimischen Wohnzimmer zu übertragen. Der gehobene Voyeurismus liebt diese ultimative Erfahrung des Sekundentods, der mit dem Schlusspfiff von Abstiegsendspielen eintritt und das Schicksal des Vereins in den Gesichtern der Spieler und Fans deutlich wird. Es sind die Momente der großen Geschichten des Fußballs. Der weinende Andreas Brehme in den Armen Rudi Völlers nach dem Abstiegsendspiel zwischen Leverkusen und Kaiserslautern im Mai 1996, der Übersteiger von Jan-Aage Fjörtoft 1999 zugunsten der Eintracht Frankfurt oder die zwei Elfmeter der Hoffenheimer in Dortmund 2013, die in letzter Sekunde dennoch nur dank eines (umstrittenen, aber gerechtfertigten) Abseitspfiffs sich in die Relegation retteten und Fortuna Düsseldorf in die 2. Bundesliga schickte.
Die Relegationsspiele versuchen diese Spannung nochmalig zu steigern, der wahre Abstiegsknaller ist aber immer der letzte Bundesliga-Spieltag, an dem parallele Spielsituationen am Tabellenbild rütteln. Die Anspannung steigt, die Entladung steht bevor…
Axel Diehlmann
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