Am gestrigen Freitag wurde im Rahmen des 11mm-Fußballfilmfestivals der brasilianische Dokumentarfilm Campo de Jogo von Eryk Rocha aus dem WM-Jahr 2014 erstmalig in Deutschland aufgeführt. Inklusive des Vorfilms Os boias – Frias do futebol (BRA 2015) von Luciano Pérez Fernández ergaben sich elementare Einblicke in die brasilianische Fußballkultur zwischen Leidenschaft, Hoffnung, Armut und den Folgen von Korruption in einem sportpolitischen Vakuum.
Die kurze Reportage Os Boias – Frias do Futebol (sinngemäß die Arbeiterklasse des Fußballs) widmet sich der prekären Situation des Amateursports in Brasilien. In der 3. Liga Brasiliens ist die große Fußballwelt weit entfernt und dennoch arbeiten unzählige Halbprofis an der Erfüllung ihres großen Traums, entdeckt zu werden und endlich das große Geld mit ihrer Leidenschaft zu verdienen. Dabei sind sie hin und her gerissen zwischen Fußball und tristem Alltag, da die Strukturen des brasilianischen Fußballs ihnen keine Sicherheit bieten kann. Die Verträge werden mit einer Laufzeit von drei Monaten geschlossen, wovon in den meisten Fällen lediglich das erste Monatsgehalt an die Spieler überwiesen wird. Die gesamte wirtschaftliche Substanz wurde den unteren brasilianischen Fußballigen durch sportpolitische Fehlentwicklungen und Korruption entzogen. Eine Folge dessen, so der Regisseur Luciano Pérez Fernández, sei die historische Niederlage der Brasilianer gegen Deutschland bei der heimischen WM.
Eben während dieser Weltmeisterschaft nimmt der Regisseur beeindruckend triste Bilder im Umfeld eines Fußballplatzes in Rio de Janeiro auf, lediglich ein bis zwei Kilometer entfernt von dem großen Fußballgeschäft. Offenbar wird ein extremes Zerrbild zwischen Traum und Realität. Während des Spiels Belgien gegen Russland kämpfen auf den Plätzen der dritten Liga die Spieler um die Aufmerksamkeit der wenigen Buisness-Men an den Spielfeldrändern. Über diese hinaus verfolgt aber auch niemand die Spiele. Die Tribünen sind baufällig und dementsprechend gesperrt, die Fans bleiben fern und konzentrieren sich abseits der WM lieber auf die vier großen Vereine der Stadt, die sich alljährlich ein mehr oder weniger spannendes Rennen um die Meisterschaft bieten. Aber auch hier zählt eigentlich hauptsächlich einen lukrativen und vor allem zahlungssicheren Vertrag in Europa zu erhalten.
Die Vereine in den unteren Klassen fehlen die Einnahmen, um die Tribünen zu sanieren, der brasilianische Fußballverband zahlt die notwendigen den Vereinen eigentlich zustehenden Gelder ebenfalls nicht aus. Die Gelder fließen wenn überhaupt in die großen Arenen und Vereine, viel versickert aber auch. Des Weiteren fehlt aufgrund des nicht vorhandenen Geldes eine klare Organisation des Spielplans und einhergehend gibt es auch wenig mediale Aufmerksamkeit und daher noch weniger Sponsoren. Die auf drei Monate heruntergebrochene Saison tut ihr übriges, um nicht zuletzt die Spieler in prekäre Verhältnisse zu treiben. Der Film macht aumerksam auf die Kehrseite der Medaille des Fußballs in Brasilien, der strukturell am Boden liegt und dessen Stars höchstens eine wunderbare Fassade darstellen, denn auch von diesen unterstützen nur wenige ihre ehemaligen Heimatvereine. So unterstütze beispielsweise der große Ronaldo lieber einen Verein in Miami als sein Geld in Brasilien zu investieren. Ein Fußball-Land in der Zwangsjacke der Korruption.
Im krassen Gegensatz dazu kommt die Dokumentation Campo de Jogo überaus leidenschaftlich und sinnlich daher. Großartige Bilder beschreiben die soziale Relevanz der Favela-Meisterschaft, dessen Finale auf einem staubigen Sandplatz ebenfalls unweit des mythischen Maracana ausgetragen wird. Es treten an die Teams Geracao und Juventude als Vertreter der Favelas Matriz und Sampaio. Für Favela-Verhältnisse ist ein Großereignis. Ein Feuerwerk am hellichten Tag rahmt die impulsive Atmosphäre. Die fußballerischen Szenen erscheinen wie Gladiatorenkämpfe, auf den Tribünen feuern jung und alt die sie vertredenden Farben an. Letztendlich entscheidet Geracao das intensive Spiel nach Elfmeterschießen für sich. Die Mannschaft trägt den Pokal in die singend in die Favela. Die Verlierer verharren auf dem Platz und sind dennoch im Sport vereint. Eine ungeheure Kraft geht von den Bildern des Regisseurs Eryk Rocha aus. Gefesselt verfolgt man das Geschehen bis zur letzten Minute.
Die Szene des Films ist aber die einer Rudelbildung aufgrund einer Entscheidung des Schiedsrichters. Nach einer roten Karte wird er von den Mitspielern vehement aber friedlich angegangen. In handelsüblicher Manier weicht er dem aufgebrachten Mob aus Spielern und Fans aus. Nach wenigen impressiven Sekunden dreht der Regisseur das Spiel um und lässt die Bilder rückwärts ablaufen. Während eine Arie eingespielt wird, geht nun auf einmal der Impuls der Bewegung vom Schiedsrichter aus. Er ist die formgebende Kraft, der die Meute vor sich hertreibt, die respektvoll Abstand hält. Meiner Meinung nach bisher die Szene des Filmfestivals.
Natürlich unter Vorbehalt, denn schon gleich geht es weiter… Drei weitere Filmfestival-Tage stehen noch an. Der Panenka grüßt alsbald wieder aus dem Kinosessel. Denn nach dem Film ist vor dem Film.
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